Von 1991 bis 1996 war Bernd Krauss erst Co- und dann Cheftrainer bei Borussia Mönchengladbach
Von 1991 bis 1996 war Bernd Krauss erst Co- und dann Cheftrainer bei Borussia Mönchengladbach

Krauss: "Gladbach ist ein Champions-League-Kandidat“

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"Das Selbstvertrauen ist riesengroß"

Köln - In Dortmund wurde Bernd Krauss 1957 geboren, beim BVB war er auch Spieler und Trainer. Doch seine größten Erfolge feierte er mit Borussia Mönchengladbach. 167 Bundesliga-Spiele bestritt er für die Fohlen, 1995 holte er als Trainer mit Gladbach den DFB-Pokal. Nun treffen seine beiden Ex-Clubs aufeinander. Im Interview mit bundesliga.de analysiert der 57-Jährige die Situation der beiden Namensvetter.

bundesliga: Das Spiel Borussia Dortmund gegen Borussia Mönchengladbach steht diesmal unter etwas anderen Vorzeichen. Wer hätte schon gedacht, dass Dortmund auf Platz 17 steht und Gladbach auf Rang 3?

Bernd Krauss: Das hätte auch ich nicht erwartet. Dass Gladbach in diesem Jahr eine sehr gute Mannschaft hat, war mir von vorne herein klar. Sie haben gute Spieler dazu geholt und einen guten Konkurrenzkampf. Sie haben unheimlich viel Qualität nach vorne. Hinzu kommt, dass sie sehr gut gestartet sind. Mit dem nötigen Selbstvertrauen sind dann die Spiele dementsprechend gelaufen. Konträr verlief die Entwicklung bei Borussia Dortmund.

bundesliga: Die Borussia in Mönchengladbach ist seit 17 Spielen ungeschlagen und steht auf Platz 3. Ist die Favre-Elf für Sie ein Titelkandidat?

Krauss: Ich habe schon vor der Saison gesagt, dass Gladbach in dieser Saison mit Sicherheit um einen Champions-League-Platz mitspielen kann. Ich glaube aber nicht, dass sie ein Titelkandidat sind, weil sie auch noch Rückschläge erleiden werden. Und der FC Bayern München ist zu weit weg. Man hat gesehen, dass die großen Mannschaften wie Dortmund oder Schalke, die sonst um die Champions-Legue-Plätze gespielt haben, geschwächelt haben. Auf diese Clubs hat Gladbach schon einen großen Vorsprung besonders auf den BVB. Das Ziel wird auch intern sein, in dieser Saison einen Champions-League-Platz zu erreichen.

bundesliga: Letztes Jahr war Mönchengladbach nach 15 Spieltagen auch in der Spitzengruppe und blieb dann neun Spiele am Stück ohne Dreier. Ist die Mannschaft in dieser Saison stabiler?

Krauss: Ja, das glaube ich schon. Sie ist stabiler aber auch ausgeglichener geworden durch die sehr guten Zugänge. Das passt alles. Wir wissen ja, dass die großen Mannschaften, die die Dreifachbelastung haben, einen dementsprechenden Kader haben müssen. Den hat Gladbach jetzt, um diese Belastung auch aufzufangen. Und noch einmal: Es ist auch immer entscheidend, wie man in eine Saison startet. Das Selbstvertrauen ist jetzt riesengroß, jeder traut sich etwas zu. Und was mir in dieser Saison sehr gut gefällt: Sie hören nicht auf. In den letzten ein, zwei Jahren wurde eine knappe Führung oft nur verwaltet. Aber jetzt wird auch weiter nach vorne gespielt und wie gegen Hoffenheim versucht das 3:1 oder 4:1 nachzulegen. Das ist eine gewaltige Steigerung gegenüber dem letzten Jahr. Deswegen glaube ich, dass nach 17 ungeschlagenen Spielen das Ziel korrigiert werden muss: „Wir wollen und wir können in die Champions League.“ Wenn es am Ende dann nicht reicht, wird ihnen keiner den Kopf abreißen.

"Klopp in Frage zu stellen wäre Quatsch"

bundesliga: Kommen wir auf den BVB zu sprechen, der unter der Woche wieder sein Champions-League-Gesicht gezeigt, gegen Galatasaray Istanbul mit 4:1 gewonnen und damit die vorzeitige Qualifikations fürs Achtelfinale geschafft hat. In der Bundesliga hat die Mannschaft dagegen die letzten fünf Spiele alle verloren. Wie sind diese Leistungsunterschiede zu erklären?

Krauss: Es gibt gewisse Situationen, die kann man nicht erklären. Dortmund ist aufgrund des Verletzungspechs sehr schlecht in die Bundesliga gekommen und hat seinen Rhythmus nicht gefunden. Die Mannschaft hat einige Spiele unglücklich verloren. Dann kommt alles zusammen.

bundesliga: Ist ein Trainer in so einer Situation auch ein Stück weit ohnmächtig?

Krauss: Man muss die Ruhe behalten. Der Verein behält ja auch die Ruhe. Woanders würde wahrscheinlich längst die Trainerfrage gestellt. Aber das ist Dortmund nicht der Fall, und das wäre auch absoluter Quatsch. Ich habe das Spiel in München gesehen, in dem der BVB eine Halbzeit großartig gespielt hat und danach auch 4:1 oder 5:1 hätte verlieren können. Es ist nicht alles schlecht, aber die Ergebnisse stimmen nicht. Dort läuft es genau umgekehrt wie in Gladbach. Nach dem Saisonstart fehlt das Selbstvertrauen, die positiven Ergebnisse.

"Qualität beim BVB ist ohne Zweifel vorhanden"

bundesliga: Trauen Sie dem BVB die große Aufholjagd zu?

Krauss: Das weiß ich nicht. Zehn Punkte Rückstand auf Platz 4 sind schon einmal eine Hausnummer. Dortmund muss sich irgendwie in die Winterpause retten. Dann werden auch wahrscheinlich alle wieder gesund sein. Mit einer vernünftigen Vorbereitung werden sie noch einmal angreifen. Die anderen Mannschaften werden auch nicht alle Spiele gewinnen, auch die werden noch Rückschläge erleiden. Es ist noch viel möglich. Die Qualität in der Mannschaft von Borussia Dortmund ist ja ohne Zweifel vorhanden.

bundesliga: Das Restprogramm bis zum Winter ist mit den Spielen gegen Gladbach und später gegen Hoffenheim oder Wolfsburg aber auch noch sehr anspruchsvoll.

Krauss: Das sind dann Spiele, die Dortmund nicht verlieren darf, um den Rückstand nicht noch größer werden zu lassen. Die Gefahr ist aber auch immer da, dass aus einem Betriebsunfall dann Abstiegskampf wird. Diese Situation kennt die Mannschaft gar nicht und ist sie auch nicht gewohnt. Auf einmal liegen dann die Nerven total blank. Wir haben eigentlich in jedem Jahr in der Bundesliga ein oder zwei Mannschaften, die positiv überraschen und eine, die negativ auffällt und vor der Saison andere Ziele hatte. Bei Borussia Dortmund ist niemand davon ausgegangen, so tief unten zu stehen.

bundesliga: Wie geht das Spiel am Sonntag aus? Wie lautet Ihr Tipp?

Krauss: Ich denke, dass Gladbach zumindest ein Unentschieden holt.

Das Gespräch führte Tobias Gonscherowski