Gertjan Verbeek übernahm am 22. Oktober 2013 das Traineramt beim 1. FC Nürnberg
Gertjan Verbeek übernahm am 22. Oktober 2013 das Traineramt beim 1. FC Nürnberg

"Sogar auf der Harley denke ich an den Club"

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Nürnberg - Nach einem starken Rückrundenauftakt hat sich die Lage für den 1. FC Nürnberg im Abstiegskampf wieder zugespitzt. Im Interview mit bundesliga.de spricht Trainer Gertjan Verbeek darüber, wie er und sein Team mit Pech umgehen und warum es nicht sinnvoll sei, an der offensiven Ausrichtung der Mannschaft etwas zu ändern. Der 51-Jährige lobt die Klasse der Bundesliga und erzählt, wie er selbst versucht, dem zunehmenden Druck zu begegnen.

bundesliga.de: Herr Verbeek, Niederlagen tun immer weh; aber hat die gegen Mönchengladbach noch ein wenig mehr geschmerzt, weil sie sehr unglücklich und vielleicht sogar ein wenig unfair war?

Gertjan Verbeek: Ich versuche immer, das Positive zu sehen. Am vergangenen Samstag mussten wir gegen eine Mannschaft antreten, die noch um den Einzug in die Champions League spielt, während wir gegen den Abstieg kämpfen müssen. Und dennoch denke ich, dass wir zumindest über weite Strecken des Spiels die dominantere Mannschaft waren. Wir haben zum Beispiel 33 Flanken geschlagen. Sicherlich war nicht jede davon gut - auch hier werden wir also beim Training ansetzen - aber wir haben gezeigt, dass wir ein Spiel dominieren können. Selbstverständlich wissen wir aber auch, dass am Ende nur Punkte zählen.

bundesliga.de: Kein anderer Verein scheint in dieser Saison so viel Pech zu haben wie der "Club". Hadert man mit dem Schicksal, wenn es 23 Mal nur zu Pfosten oder Latte gereicht hat?

Verbeek: Natürlich ist 23 Mal Aluminium im Laufe einer Saison sehr viel. Irgendwann aber hat nun mal irgendjemand entschieden, wie groß ein Tor zu sein hat. Und wenn man den Ball nur an den Pfosten oder an die Latte schießt, ist das logischerweise kein Tor. So ist die Regel! Das muss jeder, der Fußball spielt, akzeptieren.

bundesliga.de: Wie aber geht man mit diesen ständigen Enttäuschungen um?

Verbeek: Natürlich könnte man auf die Ideen kommen, jetzt in Aktionismus zu verfallen und all das umzuwerfen, was wir bisher propagiert haben. Aber zum einen glaube ich, dass es sehr wichtig ist, dass man das Vertrauen in die eigene Philosophie bewahrt. Es ist Fakt, dass es bisher eine sehr unglückliche Saison für uns war, ob das nun Schiedsrichterentscheidungen, Aluminiumtreffer oder das große Verletzungspech betrifft. Niemand konnte etwa vorausahnen, dass wir beinahe die komplette zweite Saisonhälfte auf drei, vier Stammspieler verzichten mussten. Das ist für jedes Team schwer zu verkraften. Aber es nutzt uns nichts, wenn wir das immer wieder anführen. Das mache ich den Spielern klar. Die Fokussierung liegt nur auf uns selbst. Nicht auf den Gegnern, nicht auf den Schiedsrichtern, sondern nur auf uns!

bundesliga.de: Stichwort "Vertrauen bewahren": Befürchten Sie, dass sich bei Ihren Spielern allmählich so etwas wie Resignation breitmachen könnte?

Verbeek: Überhaupt nicht. Ich räume zwar ein, dass es vor einigen Wochen, vor dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt, einen Moment gab, als ich mir Sorgen gemacht habe. Damals schien die Mannschaft Angst zu haben, und dementsprechend hat sie nicht gut gespielt und keine Punkte geholt. Punkte haben wir zuletzt zwar auch nicht geholt, aber wir spielen wieder gut, ob nun in Freiburg oder gegen Gladbach. Deshalb bin ich nach wie vor überzeugt, dass wir die Qualität haben, die Klasse zu halten. Ob uns das tatsächlich gelingt, müssen wir abwarten. Aber der Glaube es schaffen zu können, der ist nach wie vor da!

bundesliga.de: Auf den ersten Blick mag es den einen oder anderen verblüffen, dass Sie - ungewöhnlich genug im Abstiegskampf - sehr offensiv spielen lassen ...

Verbeek: Mag sein. Aber man muss auch zugeben, dass wir in der Rückrunde defensiv weit größere Probleme hatten als das in der Hinrunde der Fall war. Das aber liegt nicht daran, dass wir nach vorne spielen und offensiv ausgerichtet sind, sondern ist das Resultat davon, dass wir wegen der vielen Ausfälle nicht zwei Spiele in Folge mit derselben Viererkette spielen konnten.

bundesliga.de: Umso mehr dürfte Ihnen jetzt im defensiven Mittelfeld ein so erfahrener Mann wie Hasebe fehlen?

Verbeek: Wenn es dem "Club" gelingt, einen so erfahrenen Mann wie Hasebe zu verpflichten, der Nationalspieler ist und sogar Kapitän der japanischen Nationalmannschaft, und dieser Spieler fast eine komplette Halbserie ausfällt, ist das ganz, ganz bitter. Campana, den wir wegen der Verletztenmisere im Winter geholt haben, ist ein ganz anderer und vor allem auch noch ein sehr junger Spieler, gerade einmal zwanzig Jahre alt.

bundesliga.de: Wie zufrieden sind Sie mit Hasebes Landsmann Kiyotake?

Verbeek: Zufrieden bin ich mit seiner Einstellung und seinem Engagement. Geht es aber um Tore oder auch um Assists, hat er in dieser Saison sicherlich nicht das zeigen können, was eigentlich in seinen Möglichkeiten liegt.

bundesliga.de: In den verbleibenden fünf Partien (Restprogramm) muss der "Club" nun vier Mal gegen Teams antreten, die um die Champions League oder die Europa League kämpfen. Sind Ihnen diese Teams sogar lieber als Mannschaften aus der unteren Tabellenhälfte?

Verbeek: Ich glaube, das ist eine Frage der Tagesform des jeweiligen Gegners. Borussia Mönchengladbach kämpft um die Champions League, hat aber in der Rückrunde weniger gut gespielt als in der Hinrunde. Noch mehr gilt das sogar für Bayer Leverkusen. Mainz dagegen spielt eine tolle Rückrunde, verliert aber in Braunschweig. In der Bundesliga kann jeder jeden schlagen. Niemand kann sich hier vor einem Spiel sicher sein.

bundesliga.de: Einzige Ausnahme: Der FC Bayern München, zumindest normalerweise.

Verbeek: Eben. Denn selbst die Bayern haben jetzt verloren, in Augsburg. Trotzdem sind sie aber bereits im März Meister geworden. Ich glaube allerdings nicht, dass das wirklich gut ist für die Bundesliga. Denn es gibt doch nichts Schöneres, als dass selbst am letzten Spieltag noch wichtige Entscheidungen fallen können, ob nun ganz oben, aber auch ganz unten. Ich glaube sogar, dass die Emotionen im Abstiegskampf weit größer sind, als bei denen, für die es etwa darum geht, noch die Europa League zu erreichen.

bundesliga.de: Apropos Niederlage des FCB in Augsburg: Können Sie den Ärger einiger Clubs über die Personalrochade der Bayern in dieser Partie verstehen?

Verbeek: Als wir gegen die Bayern gespielt haben, haben die Münchner noch Vollgas gegeben. Niemand weiß aber, was Pep Guardiola am letzten Spieltag machen wird, wenn es gegen den VfB Stuttgart geht und die Bayern vielleicht das DFB-Pokal- oder das Champions League-Finale vor der Brust haben. Als Trainer kann ich zwar nachvollziehen, warum Guardiola das macht. Aber man hat gesehen, dass selbst der FC Bayern eine Rotation wie die in Augsburg nicht einfach so wegstecken kann.

bundesliga.de: Sie haben gerade auch von "Spannung bis zum letzten Spieltag" gesprochen, kennen Sie die bittere Geschichte des FCN im Abstiegskrimi 1999?

Verbeek: Die kenne ich allerdings, auch wenn das in der Tat alles andere als eine schöne Geschichte für den "Club" war. Damals ist man als Tabellenzwölfter ins letzte Spiel gegangen und hatte drei Punkte und fünf Tore Vorsprung auf einen Abstiegsplatz. Dann aber hat man zuhause gegen Freiburg 1:2 verloren, während Frankfurt, ebenfalls zuhause, 5:1 gegen Kaiserslautern gewonnen hat. Die Eintracht war gerettet, Nürnberg musste absteigen. Ein ganz bitterer Tag für den "Club"!

bundesliga.de: Überrascht Sie hierzulande das Ausmaß der öffentlichen Diskussion in Sachen Abstiegskampf, bzw. geht es in den Niederlanden, wo aktuell Teams wie Kerkrade, Nijmegen oder Waalwijk gegen den Abstieg kämpfen, beschaulicher zu?

Verbeek: Das sehe ich nicht so. Letztlich ist das alles doch eine Frage der Dimension. Deutschland hat über 80 Millionen Einwohner, die Niederlande dagegen nur 17 Millionen. In der Bundesliga kommen zu fast jedem Spiel 50.000 Fans in die Stadien, in Holland gibt es nur zwei Stadien mit auch nur annähernd dieser Kapazität. Feyenoord hat 45.000, Ajax 55.000 Plätze. Das ist ein deutlicher Unterschied. Was aber die Emotionen der Fans betrifft, kann ich diesen Unterschied nicht erkennen. Auch in der Eredivisie fiebern die Fans mit ganzem Herzen mit. Umso mehr, als dass aktuell auch in Holland noch sechs, sieben Teams gegen den Abstieg kämpfen.

bundesliga.de: Vorhin haben wir darüber gesprochen, wie Ihre Spieler mit Druck umgehen. Wie aber ist das bei Ihnen selbst; stimmt es, dass Sie zum Beispiel in Holland im Wald zurzeit eine eigene Blockhütte zimmern?

Verbeek: Ja, das stimmt. Ich war gerade erst wieder einen Tag dort, um weiter an der Hütte zu bauen.

bundesliga.de: Zudem sollen Sie beim Motorrad fahren Entspannung suchen ...

Verbeek: Das ist halb richtig. Ich fahre zwar eine Harley Davidson "Fat Boy", und einmal im Jahr machen wir mit einer Gruppe von acht, neun Freunden eine Woche lang eine große Tour. Wir waren zum Beispiel schon im Westen der USA unterwegs. Um ganz ehrlich zu sein, kann ich aber nur richtig abschalten, wenn ich am Blockhaus arbeite. Denn dort muss ich mich auf das konzentrieren, was ich gerade mache - sonst würde die Hütte wohl nicht lange stehen. Für Fußball bleibt in diesem Augenblick dann kein Platz. Auf der Harley aber - und ist die Landschaft, durch die ich fahre, noch so schön - schweifen die Gedanken vom Motorradfahren ab und landen am Ende doch immer wieder nur beim Fußball und beim "Club".

Das Gespräch führte Andreas Kötter