Thomas Strunz (l., gegen Oliver Neuville) spielte in der Bundesliga für den FC Bayern München und den VfB Stuttgart
Thomas Strunz (l., gegen Oliver Neuville) spielte in der Bundesliga für den FC Bayern München und den VfB Stuttgart

"Am Ende entscheidet die Nervenstärke"

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Köln - Bevor die Bundesliga auf die Zielgerade einbiegt, gibt es durch die Länderspielpause noch eine kurze Verschnaufpause. Nach dem Einsatz der DFB-Elf geht es in der Liga dann richtig rund. Die Wochen der Entscheidungen nahen.

Vor dem großen Saisonfinale hat bundesliga.de exklusiv mit Thomas Strunz gesprochen und den Europameister von 1996 gebeten, den Schlussspurt im "Oberhaus" zu analysieren.

bundesliga.de: Herr Strunz, die Bundesliga biegt auf die Zielgerade ein und Borussia Dortmund hat zuletzt gegenüber Bayer Leverkusen fünf Punkte eingebüßt. Ist die Meisterschaft bei nur noch sieben Zählern Vorsprung des BVB auf Leverkusen wieder offen?

Thomas Strunz: Ich denke nicht, dass es ein Einbruch ist. So wie die Spiele gegen Hoffenheim und Mainz gelaufen sind, hätten die Dortmunder nicht verlieren beziehungsweise noch Punkte abgeben müssen. Die Mannschaft hat über einen langen Zeitraum konstant gut gespielt. Ich denke nicht, dass Dortmund sich die Meisterschaft noch nehmen lassen wird.

bundesliga.de: Sprechen noch andere Dinge dafür?

Strunz: Schon allein der Grund, dass Leverkusen bei diesem Vorsprung alle Spiele gewinnen müsste, um überhaupt noch eine Chance zu haben, spricht dafür. Das kann ich mir bei dem Restprogramm nicht vorstellen. Ein weiterer Aspekt ist das deutlich bessere Torverhältnis von Borussia Dortmund, das ja fast noch einen zusätzlichen Punkt ausmacht.

bundesliga.de: Wie geht denn der Kampf um Platz 2 aus?

Strunz: Da kommt es darauf an, wie und ob überhaupt sich die Trainerfrage mit Jupp Heynckes in den nächsten Spielen auswirkt. Am vergangenen Wochenende hatte man nicht das Gefühl, dass es die Mannschaft beeinflussen würde. Aber das Vertrauensverhältnis zwischen Trainer und Mannschaft ist sehr sensibel und kann auch schnell in eine andere Richtung gehen. Insgesamt ist im Rennen um Platz 2 für mich noch keine Vorentscheidung gefallen, auch weil Bayer Leverkusen noch gegen Bayern München spielen muss. So besteht für die Bayern durch den direkten Vergleich durchaus noch die Chance, den jetzt deutlichen Abstand zu verringern und noch mal ran zu kommen. Aber auch Hannover 96, das eine tolle Saison spielt, hat noch alle Möglichkeiten.

bundesliga.de: Die Bayern haben Sie für Platz 2 also durchaus noch auf der Rechnung?

Strunz: Ja, auf jeden Fall, auch wenn sie im Moment nicht so spielen. Aber die Mannschaft verfügt im Angriff einfach über die Qualität, ein Spiel, wie zuletzt in Freiburg, durch eine Einzelaktion zu entscheiden. Deswegen rechne ich noch mit den Bayern, die allerdings ihr Heimspiel gegen Leverkusen unbedingt gewinnen müssen, damit das rechnerisch noch weiterhin möglich bleibt.

bundesliga.de: Hat das Ausscheiden aus der Champions League den Bayern in diesem Zusammenhang einen zusätzlichen Rückschlag verpasst?

Strunz: Ja, natürlich. Das hat man in der ersten Halbzeit in Freiburg auch an der Spielweise der Mannschaft gesehen. Das war eine riesen Enttäuschung. Außerdem ist der Druck enorm groß, da die Bayern in der Meisterschaft so weit hinter Dortmund zurückliegen, aus dem DFB-Pokal und jetzt auch aus der Champions League ausgeschieden sind - das ist eine sehr schlechte Saison für die Münchener. Aus meiner Sicht muss die Mannschaft jetzt unbedingt Platz 3 erreichen, weil ein schlechteres Ergebnis nicht nur finanzielle Auswirkungen, sondern auch Imageeinbußen zur Folge hätte, wenn man hinter Hannover 96 zurück bleibt.

bundesliga.de: Dahinter streiten Mainz, Nürnberg und Hamburg um Platz 5. Sind das die drei Teams, die diesen Platz unter sich ausmachen werden oder haben Sie noch einen anderen Club auf der Rechnung?

Strunz: Das sind auch die Teams, die für mich in Frage kommen. Allerdings gibt es bei jedem Club eine ganz unterschiedliche Situation. Mainz und Nürnberg haben den Vorteil, dass sie schon eine herausragende Saison spielen und eigentlich nur gewinnen können. Der HSV ist von den Einzelspielern her sicherlich die beste dieser drei Mannschaften. Aber die ganze Problematik drum herum hat dem Verein schon einige Punkte gekostet. Da muss man abwarten, wie sich diese Situation im restlichen Saisonverlauf weiter entwickeln wird. Bei den Mainzern, die in Dortmund sehr gut gespielt haben, muss man abwarten, wie es zum Ende hin wird. Da stellt sich die Frage, ob die Spieler schon mit dem Druck umgehen können, dass man durch nur noch drei Siege Fünfter werden kann.

bundesliga.de: Welchen Club sehen Sie im Vorteil?

Strunz: Von der Qualität her sicherlich den Hamburger SV. Aber einen wirklichen Vorteil sehe ich für keinen der drei Vereine. Auch Mainz 05 kann sicherlich in die Europa League einziehen.

bundesliga.de: Glauben Sie denn, dass das 6:2 gegen den 1. FC Köln eine Art Befreiungsschlag für den Hamburger SV war?

Strunz: Nach nur einem Spiel eine solche Wertung abzugeben, halte ich für vermessen. Man hat in der Saison gesehen, wie unterschiedlich viele Mannschaften schon aufgetreten sind. Der VfB Stuttgart zum Beispiel gewinnt 7:0 gegen Mönchengladbach, verliert dann aber zu viele Partien und spielt gegen den Abstieg. Von daher kann man im Moment noch gar nicht sagen, ob diese Entwicklung beim HSV eine Wende zum Guten war. Es war ein Anfang. Nach der 6:0-Niederlage in München hat die Mannschaft eine Reaktion gezeigt, aber von einer Wende zu sprechen, ist zu früh.

bundesliga.de: Die Hanseaten sind im Moment nur ein Verein von vielen, der in letzter Zeit seinen Trainer gewechselt hat. Wie stehen Sie dieser Entwicklung gegenüber?

Strunz:(lacht kurz) Man reibt sich jeden Morgen verwundert die Augen, wenn man die Zeitung aufschlägt und liest, was da diskutiert wird.

bundesliga.de: Felix Magath hat mit seiner Rückkehr zum VfL Wolfsburg für Furore gesorgt. Glauben Sie, dass er den "Wölfen" im Abstiegskampf helfen kann?

Strunz: Für mich ist klar, dass der VfL Wolfsburg die Klasse halten wird. Dafür hat die Mannschaft einfach eine zu große individuelle Klasse, was aber nicht bedeutet, das alles schon gelaufen und wieder im Lot ist.

bundesliga.de: Zu den "Wölfen" und den übrigen Mannschaften, die im Abstiegskampf stecken, hat sich vergangenes Wochenende nun auch der FC Schalke 04 hinzugesellt. Welche Clubs werden es Ihrer Meinung nach schaffen und welche müssen absteigen?

Strunz: Der Abstiegskampf ist unglaublich schwierig vorherzusagen, weil da am Ende auch die Nervenstärke eine Rolle spielt. Da ist es wichtig, wie groß der Druck im Umfeld wird und wie die Spieler ihn verarbeiten und ob sie überhaupt darauf eingestellt sind oder nicht. Clubs wie beispielsweise der 1. FC Kaiserslautern oder der FC St. Pauli - wo man ja von Anfang an gesagt hat, dass man gegen den Abstieg spielt - werden mit der Situation sicherlich anders umgehen, als der VfB Stuttgart, Werder Bremen oder Schalke 04. Das kann sich aber alles an jedem Spieltag komplett ändern. In den kommenden Wochen gibt es immer mehrere direkte Duelle. Da kann man sich innerhalb zweier Spieltage befreien oder auch völlig unten rein rutschen.

bundesliga.de: Wie beurteilen Sie die Leistungen von Werder Bremen und dem VfB Stuttgart, der ja zum Beispiel aus den vergangenen vier Spielen zehn Punkte geholt hat?

Strunz: Die sind beide auf jeden Fall im Abstiegskampf angekommen und haben zuletzt auch eine positive Entwicklung genommen. Das heißt aber nicht, dass sie schon gerettet sind. Wie sensibel die gesamte Situation ist und wie die einzelnen Mannschaften darauf reagieren, kann man immer nur von Spieltag zu Spieltag bewerten. Aktuell scheint es aber so, als ob sie die Kurve gekriegt hätten.

bundesliga.de: Das Gegenteil zu diesen Vereinen ist Borussia Mönchengladbach, das durch das 0:1 gegen Kaiserslautern erneut ein Spiel gegen einen direkten Konkurrenten verloren hat. Sind die "Fohlen" noch zu retten?

Strunz: Es ist natürlich bitter, wenn man gegen die direkten Konkurrenten nicht gewinnt. Nach der Länderspielpause steht die Begegnung bei Bayern München an, wo man ja nicht davon ausgehen kann, dass sie drei Punkte einfahren werden. Aber diese Aussichtslosigkeit ist wiederum auch eine Chance. Wenn man als Mannschaft sagt: 'Wir haben nichts mehr zu verlieren!', kann das auch befreiend sein. Vielleicht war es bei den Gladbachern ja bisher so, dass sie sich vor solchen Spielen immer selbst zu sehr unter Druck gesetzt haben. Jetzt können sie frei aufspielen, getreu dem Motto: 'Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie'. Aber da ist noch gar nichts entschieden. Der Rückstand beträgt nur fünf Punkte und somit besteht noch die Möglichkeit, es zu schaffen. Aber Gladbach braucht natürlich auch die Hilfe der anderen Mannschaften, muss selbst aber dauerhaft punkten.

Das Gespräch führte Gregor Nentwig

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