Im Meister-Pulk: Borussia Dortmunds Knut Reinhardt (l.) feiert den Titel im Jahr 1995
Im Meister-Pulk: Borussia Dortmunds Knut Reinhardt (l.) feiert den Titel im Jahr 1995

"Als Kollektiv den Großen ein Bein stellen"

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Dortmund - Knut Reinhardt gewann mit dem BVB die Champions League und den Weltpokal - und er ist Mitglied des Dortmunder Meisterteams, das es 1995/96 als letzte Mannschaft außer dem FC Bayern München schaffte, den Titel des Deutschen Meisters zu verteidigen.

Im zweiten Teil des Interviews mit bundesliga.de spricht der 44-Jährige über die internationale Perspektive der Borussia, spricht über Parallelen mit der damaligen Meisterelf und erklärt, warum der BVB noch einen Top-Star braucht.

bundesliga.de: Sie haben den BVB für seine Leistung in der Bundesliga gelobt - aber für den Auftritt in der Champions League getadelt.

Knut Reinhardt: Das ist das einzige Manko, dass man in der Champions League schon in der Vorrunde ausgeschieden ist. Da muss sich die Mannschaft jetzt noch bestätigen und international beweisen. Wenn man sieht, dass sich in den jeweiligen Ligen ihres Landes mittelmäßige Clubs zum Teil in der Champions League durchgesetzt haben, dann hat die Borussia hier noch Nachholbedarf.

bundesliga.de: Sie haben 1997 mit dem BVB die Champions League gewonnen. Aber bei der ersten Teilnahme 1995/96 war der Auftritt auch noch nicht überragend - nach zwei Siegen in den Gruppenspielen folgte mit zwei Niederlagen gegen Amsterdam das Aus.

Reinhardt: Ajax hatte damals eine absolute Übermannschaft, da hatten wir gar keine Chance. Das war ein absolutes Ausnahmeteam mit van der Sar, Davids, Kluivert und den de Boer-Brüdern. Generell haben wir uns im ersten Jahr in der Champions League auch schwerer getan, das stimmt. Da gibt es Parallelen. Aber die Ausgangssituation war damals eine ganz andere. Damals wusste der Verein doch gar nicht, was Champions League ist. Man hatte in den Jahren zuvor mal im UEFA-Cup gespielt, aber dieses System gegen die Besten Europas mit Gruppenphase und allem, was dazu gehört, das ist doch noch einmal eine ganz andere Hausnummer.

bundesliga.de: Nach den beiden Meistertiteln folgte damals der Triumph in Europa. Auch, weil sich die Ziele und Motivation der Mannschaft verändert hatten?

Reinhardt: Die Motivation, Champions League zu spielen, ist sehr groß. Man hat eine große Bühne, die Spiele werden überall übertragen. Und dort den Titel zu gewinnen, ist etwas ganz Besonderes. Champions-League-Sieger kann sich wirklich nicht jeder nennen. Aber die "Königsklasse" ist auch eine ganz andere Belastung. Mannschaften, die diese Doppelbelastung zum ersten Mal mitgemacht haben, wie vor ein paar Jahren auch der VfB Stuttgart, sind in der Liga gnadenlos abgerutscht, weil man sich daran erst gewöhnen muss.

bundesliga.de: Mit der Leistung in der Bundesliga hatte der BVB in dieser Saison keine Probleme...

Reinhardt: Aber es kann schwierig werden, je länger man international mitspielt. Weil man quasi keine Regeneration mehr hat. Ständig Spiele im Wechsel Samstag - Mittwoch - Samstag, da ist der Körper irgendwann leer. Wenn man das über Jahre macht, dann ist das schon Raubbau am eigenen Körper, das habe ich selbst gemerkt. Und wenn du dann nach einem schweren Spiel in der Champions League auf einen frischen, ausgeruhten Gegner in der Bundesliga triffst, der womöglich noch mit aller Macht gegen den Abstieg kämpft, dann kannst du in der Liga auch schon mal die eine oder andere Niederlage kassieren.

bundesliga.de: Ist es letztlich auch eine Frage des Kopfes nach dem Motto "Meister können wir ja, jetzt konzentrieren wir uns auf die Champions League"?

Reinhardt: Kopf und Beine - letztlich gehört alles irgendwie zusammen. Da ist auch jeder Einzelne gefragt. Wenn du nur zwei, drei Spieler in der Mannschaft hast, die das vom Kopf her nicht hinbekommen, sich auf beide Wettbewerbe voll und ganz zu konzentrieren, dann wird es schwierig. Fußball ist nun einmal ein Teamsport. Und wenn nicht alle an einem Strang ziehen, dann kann man schnell in Schwierigkeiten geraten.

bundesliga.de: Sie haben damals an der Seite von Reuter, Sammer, Kohler oder Riedle gespielt - ein Starensemble. Jetzt hat der BVB eine junge, gewachsene Mannschaft. Ist das ein Vorteil?

Reinhardt: Ich denke, der Fußball hat sich generell gewandelt. Allein das Spieltempo kann man kaum miteinander vergleichen. Alles ist viel schneller geworden und technisch versierter. Der Team-Spirit, den der BVB auch groß schreibt, ist aus meiner Sicht mittlerweile ganz entscheidend. Im Endeffekt gewinnt das Kollektiv, es gewinnen nicht die besseren Einzelspieler. Und so kann man auch immer großen Mannschaften mit großen Namen ein Bein stellen - auch als junge Mannschaft.

bundesliga.de: Der BVB hat damals nach dem Gewinn des zweiten Meistertitel - auch mit Blick auf den Europapokal - Paulo Sousa verpflichtet. Fehlt Borussia Dortmund heute auch noch ein Weltstar zum großen Coup?

Reinhardt: Um international weiter nach vorne zu kommen, wird es notwendig sein, den einen oder anderen Spieler zu holen, der ein Spiel auch alleine entscheiden kann. Der BVB hat wirklich sehr gute Spieler in seinen Reihen, sie sind gereift und haben international Erfahrungen gesammelt. Aber zwischen "gut" und "weltklasse" ist trotzdem noch ein kleiner Unterschied. Jemand wie damals Paulo Sousa bei uns oder heute Ribery oder Robben bei den Bayern, das sind absolute Ausnahmespieler. Die können Spiele alleine entscheiden und stellen eine echte Waffe dar für ihre Mannschaft. Und international entscheiden vielleicht ein, zwei Situationen ein Spiel. Daher sollte der BVB darüber nachdenken. Und, wenn die Möglichkeit besteht, auf dem Transfermarkt zuschlagen.

bundesliga.de: Besteht dann nicht die Gefahr, mit so einem Superstar das Mannschaftsgefüge zu sprengen?

Reinhardt: Die Gefahr besteht immer, dass dieses Team, das als Mannschaft so gut funktioniert, dann nicht mehr so rund läuft. Ich glaube trotzdem, dass man noch etwas machen muss. Man hat gesehen, dass es international noch nicht reicht. Und gegen die wirklichen europäischen Spitzenclubs ist der BVB noch gar nicht angetreten. Letztlich ist es ein Wagnis, aber ich würde versuchen, Top-Spieler zu bekommen. Zumal sich die Fans sicher nicht noch einmal mit einem Aus in der Vorrunde zufrieden geben. Da würde trotz zweier Meisterschaften Unmut aufkommen. Nach der Sommerpause ist alles schnell vergessen.

bundesliga.de: In welchem Bereich sehen Sie denn Platz für einen Top-Star?

Reinhardt: Auf jeden Fall auf einer zentralen Position, etwa im offensiven Mittelfeld. Mit Mario Götze hat man zwar einen herausragenden Spieler, jetzt kommt Marco Reus hinzu. Aber international haben beide noch nicht ihren großen Durchbruch gehabt. Diese Mannschaft mit einem echten Ausnahmespieler weiter zu verstärken, wäre eine Option. Zumal die Belastung weiter steigen wird, wenn man in der Champions League länger mitspielt.

bundesliga.de: Wagen Sie eine Prognose, wie es mit dem BVB in der neuen Saison weitergeht?

Reinhardt: Der BVB wird in der Bundesliga auf jeden Fall unter den besten fünf Mannschaften mitmischen. Wenn man von Verletzungen verschont bleibt und das nötige Glück hat, ist alles möglich - auch international. Zumindest sollte man die Vorrunde in der Champions League gut überstehen. Bis zum Titel ist es ein ganz, ganz weiter Weg - aber das war es für uns damals auch!

Das Gespräch führte Dietmar Nolte

Im ersten Teil des Interviews vergleicht Knut Reinhardt die Doppel-Meistermannschaft Mitte der Neunziger mit der heutigen Truppe und erinnert sich an eine verrückte Titel-Feier.