Der personelle Engpass im Sturm bietet Wellington (M.) eine neue Chance zur Bewährung in Hoffenheim
Der personelle Engpass im Sturm bietet Wellington (M.) eine neue Chance zur Bewährung in Hoffenheim

Abkehr vom Zauberfußball

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Mit Feierlichkeiten ist es immer so eine Sache. Wenn noch irgendetwas Unangenehmes durch den Kopf schwirrt, kann man sich nicht ganz unbeschwert freuen - mag die Fete auch noch so toll sein.

Ralf Rangnick dürfte es am Samstag so gegangen sein. 1899 Hoffenheim ist umgezogen, nach Sinsheim, ins neue, moderne Stadion. Es gab ein Eröffnungsspiel, ein Feuerwerk, Showacts, alles, was so dazugehört - ein großer Tag für den Bundesliga-Neuling.

"Ich wünsche mir mit dem neuen Stadion die unendliche Fortsetzung des Wunders von Hoffenheim", sagte Mäzen Dietmar Hopp unter dem tosenden Beifall der Fans. Doch auf den Feiertag folgt der Alltag - und der wird beim Halbzeitmeister im Moment von personellen Widrigkeiten bestimmt.

Ausfälle in der Offensive

Es fällt ja nicht nur der bislang überragende Torjäger Vedad Ibisevic (Kreuzbandriss) aus. Chinedu Obasi plagt sich weiter mit einer Muskelverletzung und wird für den Auftakt gegen Cottbus am Samstag eher nicht zur Verfügung stehen. Zudem wurde Carlos Eduardo wegen seiner Rangelei mit Hamburgs Ivica Olic im Testspiel gesperrt.

"Man merkt natürlich, dass wir ohne die drei fehlenden Spieler vorne nicht mehr die Qualität haben", erklärte Trainer Rangnick nach dem 6:2 im Eröffnungsspiel gegen eine Rhein-Neckar-Auswahl, "es wäre naiv zu glauben, dass wir ohne diese Drei weiter so zaubern wie in der Hinrunde."

Nur noch mit einer Spitze

Das wird recht grundsätzliche Konsequenzen haben, kündigte der Trainer an. "Meine Präferenz ist es, mit drei Spitzen zu spielen. Aber derzeit haben wir mit viel Wohlwollen höchstens zwei Stürmer. Die Tendenz geht dahin, dass wir gegen Cottbus mit nur einem Angreifer spielen." Aus drei wird eins, die Abkehr vom Angriffsfußball deutet sich an. In diesem Zusammenhang unterstrich Rangnick auch noch, dass man künftig verstärktes Augenmerk auf die Defensivarbeit legen werde. Man darf gespannt sein.

Der einzige Profi, der derzeit an der Taktik mit einer Spitze noch etwas ändern könnte, ist Wellington. Doch der Brasilianer, der gegen die Rhein-Neckar-Auswahl immerhin zweimal traf, konnte die Erwartungen bisher nicht erfüllen und kam in der Hinrunde lediglich 26 Minuten zum Einsatz.

"Es liegt auch an ihm, ob wir mit zwei Spitzen spielen. Aber er weiß, dass er in vielen Bereichen zulegen muss. Da muss einiges mehr kommen, damit es reicht, um in der Bundesliga von Anfang an zu spielen", meinte Rangnick nach einem Gespräch mit dem 20-Jährigen.

Wellington soll in die Bresche springen

Wellington selbst, der sich gegen ein angedachtes Ausleih-Geschäft ausgesprochen hatte, ist zu "hundert Prozent sicher, dass ich es schaffe". Rangnick: "Er bekommt eine Chance bis zum Saisonende. Ich hoffe, dass seinen Worten Taten folgen."

So oder so schauen sich die Hoffenheimer aber auch weiter nach einem Ersatz für Ibisevic um. "Es ist schon so, dass wir uns für einen Spieler entscheiden werden, wenn die Konstellation stimmt", sagt Manager Jan Schindelmeiser. Und damit ist nicht nur der Preis gemeint. Ein Neuer müsste auch exakt das soziale Anforderungsprofil erfüllen.

An der Philosophie wird festgehalten

"Es kann auch sein, dass wir gar nichts machen", teilte Rangnick mit. "Das hängt davon ab, ob wir den richtigen Spieler finden, der zu uns passt. Wenn nicht, bleiben wir lieber in der Besetzung, in der wir jetzt sind." An der grundsätzlichen Philosophie wird nicht gerüttelt, auch jetzt nicht, wo die Situation dazu verführen könnte.

Einen Vorteil hat die Situation aber für Hoffenheim: Die teilweise schon überbordenden Erwartungen können gedämpft werden - und kaum einer widersprecht mehr. "Es ist unrealistisch, dass wir irgendeinen Titel holen. Wenn wir Fünfter oder Sechster werden, wäre das normal", sagt Rangnick, "das wäre kein Einbruch für mich." Wann hat ein Herbstmeister das schon mal von sich sagen können?

Michael Gerhäußer