Das letzte Aufeinandertreffen der beiden Teams im Stadion an der Grünwalder Straße gab es im Juni 1995 und endete 3:1 für die "Roten Teufel"
Das letzte Aufeinandertreffen der beiden Teams im Stadion an der Grünwalder Straße gab es im Juni 1995 und endete 3:1 für die "Roten Teufel"

Nostalgie-Oase in der Großstadtwüste

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Alte Holzdielen über dem Kopf, graue Betonsäulen im Sichtfeld und den Vordermann fast auf dem Schoß. Wenn die Münchner "Löwen" im altehrwürdigen Stadion an der Grünwalder Straße zum Nostalgieabend laden, scheint es, als ob der der Giesinger Traditionsverein sein Hochglanzbüro Allianz Arena kurzfristig gegen Omas uriges "Wohnzimmer" aus den 60er Jahren eingetauscht hat.

Geht man nach der trostlosen, kleinen Anzeigetafel über der Westkurve, ist die Paarung immer die Gleiche: 1860 gegen "Gäste" steht da in weißen Blockbuchstaben auf schwarzem Grund. Und weil man in sein Wohnzimmer am liebsten gute Freunde einläd, sind die "Gäste" an diesem sommerlich-schwülen Mittwochabend die Spieler und Anhänger des 1. FC Kaiserslautern. Die "Löwen" und den FCK verbindet eine lanjährige Fanfreundschaft.

"Der Teufel mit uns und wir gegen alle"

Vor dem Stadion laufen sich ein Kuttenträger der "Roten Teufel" und ein Anhänger der "Sechzger" über den Weg. Man klatscht sich freundschaftlich ab und dem Beobachter wird schnell klar, hier testen heute einander nahestehende Clubs ihre Form kurz vor Saisonbeginn. Neben den beiden Teams haben noch geschätzte 10.000 Zuschauer den Weg in die urige "Löwen-Höhle" gefunden.

Dementsprechend herzlich begrüßen die Fans der "Blauen" auf der Gegengeraden ihre Freunde aus der Pfalz : FCK-Sprechchöre durchdringen das weite Rund im Münchner Stadtteil Giesing, als die Akteure das Feld betreten. "Der Teufel mit uns und wir gegen alle" verkündet ein Transparent auf der Gegengeraden, die heute dem großen Bruder "Nordkurve" in der Arena in nichts nachsteht.

Hoffnungsträger Lauth

Schiedsrichter Dr. Felix Brych pfeift die Partie Blau gegen Rot auf dem erstaunlich gepflegten Grün an und das Spielgerät landet nach kurzer Zeit am Fuß von 1860-Rückkehrer und Hoffnungsträger Benjamin Lauth. Die ohnehin bemerkenswerte Akkustik erreicht einen neuen Höhepunkt. Auf Lauth bauen sie in München. "Ich versuche den vielen jungen Spielern zu helfen und meine Erfahrung mit rein zu bringen", gibt sich der ehemalige Nationalspieler im Gespräch mit bundesliga.de bescheiden.

Immer wieder peitschen die Fans ihre "Löwen" nach vorne. Auch die beinahe Führung der Lauterer durch einen Gewaltschuss von Axel Bellinghausen an die Querlatte (34. Minute) kann die gute Stimmung nicht trüben. Gut ist die Laune auch in der Halbzeitpause in den extra für das Spiel aufpolierten Katakomben. "Ex-Löwe" Olaf Bodden und Kabarettist Dieter Hildebrandt begegnen sich in einem verwinkelten Teil der Stadionkatakomben, die den Charme eines Luftschutzbunkers versprühen. Man kennt sich und 1860 hat viele Freunde zum 1. Giesinger Heimatabend eingeladen.

Szenenapplaus

Bei den Geladenen dürfte spätestens in der 2. Halbzeit Besinnlichkeit aufkommen. Als es Mitte des zweiten Spielabschnitts zu dämmern beginnt und das Flutlicht den Platz zusätzlich erhellt, fühlt man sich vollends an jene besonderen Fußballabende erinnert, die der langjährige "Löwen"-Fan sicherlich noch im Gedächtnis hat.

Mittlerweile ist die ganze Gegengerade ein sich selbst feiernder Pulk. Angetrieben von einem Kabinettstückchen ihres zur Halbzeit eingewechselten Torwarts Michael Hofmann schicken die "Löwen"-Fans sogar eine Laolawelle auf die Reise. Der Keeper feuert einen Rückpass nicht etwa planlos ins Nirvana, wie oftmals sein mittlerweile pensionierter Amtskollege vom roten Stadtrivalen. Hofmann täuscht dem heranstürmenden FCK-Angreifer Marcel Ziemer den Befreiungsschlag nur vor und zieht das Leder brasilianisch mit der Sohle zurück. Der Stürmer rennt ins Leere und das anwesende Publikum bejubelt die Aktion mit Szenenapplaus.

Stilbruch

Als dann auch noch das 1:0 für die "Löwen" fällt – FCK-Abwehrspieler Martin Amedick köpft nach einer Ecke das (Eigen-)Tor des Tages (80.) - kennt die Freude keine Grenzen mehr. Die Fans hüpfen und strapazieren das "Wohnzimmer-Mobiliar" aufs Äußerste.

Zwischen all den jubelnden Menschen auf den braunen Holz-Sitzreihen in dieser Nostalgie-Oase fällt dem Beobachter dann doch noch ein Stilbruch ins Auge. Zwei Hightech-Kameras hängen von der Holzdecke herab und beobachten das Geschehen auf den Rängen. Im Zeitalter allumfassender Sicherheitssehnsüchte macht "Big Brother" eben auch vor "Omas Wohnzimmer" keinen Halt. Die einzigen Szenen, die das "magische Auge" an diesem Abend noch einfängt, sind die vom friedlichen Ausklang dieses nostalgischen Ausflugs.

Florian Bruchhäuser