Der Abgang von Kapitän und Leitfigur Fabian Boll bleibt am Ende als Highlight der Saison
Der Abgang von Kapitän und Leitfigur Fabian Boll bleibt am Ende als Highlight der Saison

Emotionales Ende einer verkorksten Saison

xwhatsappmailcopy-link

Hamburg - Am letzten Spieltag gab es im Schatten der Reeperbahn den emotionalen Höhepunkt der Saison. Nach zwölf Jahren streifte Fabian Boll für sein 292. Pflichtspiel noch einmal das braun-weiße Trikot mit der Rückennummer 17 über. Höhen wie den Bundesliga-Aufstieg zum 100. Geburtstag des Vereins 2010 hat der Kapitän ebenso miterlebt wie den Absturz in die Drittklassigkeit.

"Was vor, während und nach dem Spiel im Stadion los war, war einfach unglaublich!", schwärmte der 34-Jährige zu Tränen gerührt. "Da habe ich mir gedacht, dass ich so viel in den letzten zwölf Jahren offensichtlich nicht falsch gemacht haben kann."

Minimalziel erneut verfehlt

Was falsch gelaufen ist, beschäftigt die Offiziellen in der Saisonanalyse. Sich auf Dauer in den Top 25 in Deutschland zu etablieren, hatte der Club sich nach dem einjährigen Gastspiel im Oberhaus auf die Fahnen geschrieben. Eine Vorgabe, die mit Platz acht zum zweiten Mal in Folge verfehlt wurde.

Dabei hatte man auf dem Kiez fünf Spieltage vor Saisonende als Tabellen-Vierter mit drei Punkten Rückstand auf Fürth noch von der Relegation geträumt. Doch selbst einen in der Schlussminute erzielten Ausgleichtreffer gegen Verfolger Kaiserslautern brachte das Team nicht über die Zeit. 2:3 hieß es nach dem Abpfiff. Es war der Knackpunkt der Saison, von diesem Schock erholten sich die Hamburger nicht mehr. Nur noch zwei magere Pünktchen konnten sie in den abschließenden Partien einfahren.

Gute Gastgeber

Zwar ist St. Pauli mit Rang 3 in der Auswärtstabelle hinter den Aufsteigern Köln und Paderborn mehr als zufrieden, aber gerade am Millerntor erwiesen sich die Braun-Weißen als gern besuchte Gastgeber. Die Aufstiegs-Chance verspielte der Verein zuhause. Nur 20 von 51 möglichen Punkten blieben an der Elbe. Lediglich Bielefeld und Bochum (beide 19) sowie Ingolstadt und Cottbus (18) waren in eigener Arena noch harmloser.

Nur fünf Siege sahen die Fans im meist ausverkauften Stadion am Millerntor, sieben Mal standen die Kiezkicker mit leeren Händen da. "Es kann nicht sein, dass wir so viele Punkte zuhause verschenken", sagte Keeper Philipp Tschauner. Abstiegskandidaten wie Bochum und Bielefeld nahmen wichtige Punkte mit nach Hause. "Wir haben am Millerntor Probleme, das Spiel zu machen", räumte Trainer Roland Vrabec ein.

Trainerwechsel ohne Auswirkungen

Dabei hatte der 40-Jährige, der nach dem 1:4 am 13. Spieltag in Kaiserslautern seinen Chef Michael Frontzeck abgelöst hatte, offensiveren Fußball angekündigt. Ein Versprechen, das er nicht halten konnte. Unter Frontzeck erzielte das Team 1,4 Tore pro Spiel, unter Vrabec waren es nur noch 1,2. Beide Trainer fuhren dabei 1,4 Punkte pro Spiel ein. Trotz anfänglichen Höhenfluges unter Vrabec beendete St. Pauli am Ende als Achter die Saison - exakt auf dem Tabellenplatz, auf dem Vrabec die Mannschaft übernommen hatte.

St. Pauli fehlte im heimischen Stadion ein Spielmacher, der mit zündenden Ideen gegen tief stehende Gäste für Überraschungseffekte hätte sorgen können. Hinzu kam bei den Piraten der Liga eine Flaute im Sturm. Gerade 14 Mal trafen die Stürmer John Verhoek, Christian Nöthe (je 5) und Lennart Thy (4) ins gegnerische Tor.

Schwächen bei Standards

Im Sturm wehte ein laues Lüftchen und die Abwehr erwies sich nicht gerade als Bollwerk. Nur fünf Clubs kassierten mehr Gegentreffer als der FC St. Pauli (49). Besonders bei Standards  zeigte das Team eklatante Schwächen. Bei jedem Eckstoß gegen ihre Mannschaft schwante den Anhängern Böses. "Es darf nicht sein, dass jeder Standard des Gegners zur Kopfsache wird", schimpfte Vrabec.

Erschwerend kam hinzu, dass mit Kapitän Boll ab dem 9. Spieltag verletzungsbedingt die Führungspersönlichkeit ausfiel. An ihm hätte sich das junge Team (Durchschnittsalter 25,5 Jahre) in schwierigen Phasen aufrichten und orientieren sollen.

Diese Lücke konnte keiner füllen. Zwar war Mittelfeld-Akteur Fin Bartels mit sieben Treffern erfolgreichster Schütze des Teams, aber die Rolle des Führungsspielers war für den schnellen Techniker eine Nummer zu groß. Trotzdem hat St. Paulis Bester mit seiner Leistung das Interesse anderer Vereine geweckt und wird in der kommenden Saison für Werder Bremen in der Bundesliga auf Tore-Jagd gehen.

"Viele Spieler mit Potenzial"

Insgesamt kam es immer wieder auf die Tagesform einzelner Spieler an. Dabei stellten die Neuzugänge Tom Trybull (20), Marc Rzatkowski (23), Marcel Halstenberg (21), Sebastian Maier (19) sowie der 2012 vom 1. FC Köln gekommene Spielmacher Christopher Buchtmann (22) phasenweise unter Beweis, dass sie eine Bereicherung für den Verein sind, aber eben eher Optionen für die Zukunft.

"Man muss den Jungen auch mal schwächere Phasen zugestehen", so Vrabec. "Wir haben viele Spieler, die viel Potenzial haben und mit ihrer Entwicklung noch nicht am Ende sind. Platz 8 schmälert unter dem Strich schon ein bisschen den Gesamteindruck, vor allem wenn man während der Saison lange oben mitspielt", sagte der Trainer.

Das soll besser werden. Seine erste Spielzeit, in der er von Beginn an als Trainer in der Verantwortung steht, will er top vorbereitet angehen. "Wir wollen nächste Saison einen guten Start hinlegen. Dafür müssen wir von Beginn an fokussierter und konzentrierter arbeiten", sagt Vrabec: "Mit den Neuverpflichtungen Daniel Buballa und Michael Görlitz haben wir schon zwei neue Spieler verpflichtet, die uns auf Anhieb weiterhelfen." Mindestens zwei weitere Spieler sollen nach Wunsch des Trainers noch dazu kommen. 

Fabian Boll wird mit Sicherheit genau verfolgen, wie sich seine Nachfolger schlagen.

Jürgen Blöhs