Seit dem 2. April bilden Alexander Rosen (l.) und Markus Gisdol in Hoffenheim ein Erfolgsgespann (Copyright: Imago)
Seit dem 2. April bilden Alexander Rosen (l.) und Markus Gisdol in Hoffenheim ein Erfolgsgespann (Copyright: Imago)

"Wir prägen einen Jugendstil, aber keinen Jugendwahn"

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Sinsheim - Am 2. April traten Alexander Rosen als Leiter Profifußball und Markus Gisdol als Cheftrainer ein schweres Erbe in Hoffenheim an. Die Mannschaft lag sieben Spieltage vor Saisonende mit nur 20 Punkten auf dem Konto vier Zähler hinter dem Relegationsplatz, auf dem der FC Augsburg rangierte, und sogar neun Punkte hinter Fortuna Düsseldorf auf Platz 15.

Dank des fulminanten Endspurts mit elf Zählern aus diesen letzten sieben Spielen erreichten die Kraichgauer noch die Relegation (Sonderseite), in der sie sich gegen den 1. FC Kaiserslautern durchsetzten und den kaum für möglich gehaltenen Klassenerhalt realisierten. bundesliga.de hat mit Alexander Rosen über die Lehren aus der vergangenen Saison und die Perspektiven der TSG 1899 Hoffenheim gesprochen.

bundesliga.de: Herr Rosen, sind Ihre Akkus schon wieder aufgeladen nach dem spannenden Saisonfinale mit Happy End?

Alexander Rosen: Viel Zeit zum Aufladen war nicht. Aber wir sind zum Glück mit positiven Emotionen aus dieser sehr intensiven und energieraubenden Zeit herausgegangen. Die Akkus sind weit genug aufgeladen, um die anstehenden operativen Dinge schwungvoll anzugehen.

bundesliga.de: Haben Sie schon die vergangene Saison aufgearbeitet?

Rosen: Wir sind im Endspurt. Das ist ein laufender Prozess. Man kommt am 2. April ins Amt und versucht, sich in dem Moment auf die Ist-Situation zu fokussieren. Nebenbei entwickelt sich mit den Eindrücken, den Gesprächen, den Trainingseinheiten, mit den Diskussionen mit den Kollegen, die schon da waren, und den neuen Kollegen, die dazugekommen sind, ein Bild. Das Bild wird dann im Laufe der Zeit immer ein bisschen schärfer. Und danach haben wir gesagt, dass wir alles sacken lassen, uns austauschen und das Bild zu Ende zeichnen wollen. Wir sind intern soweit, dass wir sehr konkrete Vorstellungen haben. Wir haben viel aufgearbeitet, aber natürlich noch nicht alles, weil wir zehn Monaten der Saison nicht aktiv handelnd in den Positionen waren. (Hoffenheims Saisonfazit)

bundesliga.de: Kann man im Rückblick angesichts von neun Punkten Rückstand auf Fortuna Düsseldorf und nur noch sieben Spielen von einem Himmelfahrtskommando sprechen?

Rosen: Ich möchte es nicht Himmelfahrtskommando nennen. Wir sind angetreten mit einem klaren Fokus auf den Weg, den wir jetzt in Hoffenheim einschlagen wollen. Dieser Weg soll sich definieren über die Art und Weise unseres Fußballspiels und unseres Auftretens nach außen. Und nicht zuletzt wollen wir als dritte Säule auch junge Spieler integrieren. Das ist ein Teil unserer Philosophie. Wir wollen die Früchte unserer guten Nachwuchsarbeit ernten und in den Herrenbereich tragen.

bundesliga.de: Bei dieser Aufgabe fällt dem Trainer Markus Gisdol sicher die Hauptrolle zu.

Rosen: In jedem Bundesliga-Team hat der Cheftrainer eine Schlüsselfunktion. In den Vorgesprächen damals, ob wir die Aufgaben gemeinsam übernehmen, war es unsere klare Position, dass wir unseren Weg liga-unabhängig durchziehen wollen. Wir wollten nicht jeden Tag den Spielern eintrichtern: "Wir müssen drinbleiben, wir müssen drinbleiben." Der Fokus war, dass wir mittelfristig etwas Neues gestalten wollen. Wir kehren zu vielen Dingen zurück, die den Verein schon einmal stark gemacht haben.

bundesliga.de: Wie ist der Stand der Saisonvorbereitung? Sie haben festgelegt, dass der Torwart Koen Casteels die Nummer 1 bleiben wird. Sie haben einige Nachwuchsspieler geholt. Auf welchen Positionen sehen Sie noch Bedarf?

Rosen: Es ist so, dass wir gegen Ende der letzten Saison bereits viele Vorgriffe auf die neue Spielzeit gemacht haben. Wir setzen auf die dritte Säule, von der ich gerade gesprochen habe, also die Integration eigener Spieler. Das haben wir vorgezogen. Ich nenne da die Spieler Andreas Ludwig und Robin Szarka aus der U23, dazu Jeremy Toljan, Patrick Schorr und Niklas Süle aus der U19, die wir frühzeitig in den Profi-Kader gezogen haben. Das sind Spieler, die zum Trainingsauftakt am 29. Juni zum Profikader gehören werden. Das sind schon fünf interne Neuzugänge, selbstentwickelte Spieler, die zwischen zwei und sechs Jahren bei uns sind und jetzt bei den Profis den nächsten Schritt gehen sollen. Wir prägen damit einen gewissen Jugendstil, aber keinen Jugendwahn. Es gelten die Leistungsprinzipien genauso für jeden einzelnen U-Spieler, der nach oben kommt. Jung alleine reicht nicht, gut müssen sie sein.

bundesliga.de: Vor zwei Jahren hat Borussia Mönchengladbach ähnlich knapp den Klassenerhalt geschafft wie Hoffenheim vor drei Wochen. Danach sind die "Fohlen" durchgestartet. Ist die Borussia ein Vorbild von Hoffenheim? Kann so eine bewältigte Krisensituation neue Kräfte freisetzen?

Rosen: Mit dem Begriff Krise sollte man in Deutschland im Moment vorsichtig umgehen. Wir waren in einer sportlich prekären Situation. Es lastete auf den vielen jungen Spieler und den Mitarbeitern TSG ein hoher Druck. Ein Druck, den man sich selbst macht, einer der medial entsteht, auch durch die Zuschauer. Durch eine solche Situation zu gehen und diese erfolgreich zu meistern, kann definitiv eine unglaubliche Verbindung schaffen, eine Identifikation. Die besonderen Erlebnisse verbinden. Ich weiß nicht, ob es in den letzten Jahren schon einmal so ein Bundesliga-Finale gab. Ich denke da an das Spiel in Dortmund (das Hoffenheim am letzten Spieltag mit 2:1 gewann, Anm. d. Red.) und die Geschichte in der 93. Minute (als ein Dortmunder Tor, das den Hoffenheimer Abstieg besiegelt hätte, aberkannt wurde, Anm. d. Red.). Diese Situation war eine ganz besondere. Daraus kann man Stärke ziehen. Gladbach würde ich nicht als Vorbild bezeichnen. Aber Gladbach hat eine vergleichbare Situation vor zwei Jahren durchgemacht. Der Verein hat danach eine tolle Entwicklung genommen. Man muss der Borussia dafür Respekt zollen, was das Duo Max Eberl und Lucien Favre in einer nach außen spürbaren Ruhe mit Konsequenz und Kontinuität in den letzten Jahren aufgebaut hat. Aber das ist kein Vorbild für uns, weil wir uns auf das fokussieren, was ich beschrieben habe.

bundesliga.de: Im letzten Jahr wurde mit der Europa League ein forsches Saisonziel formuliert. Mit welchen Erwartungen geht Hoffenheim diesmal in die neue Saison?

Rosen: Auch da wollen und werden wir aus den Fehlern der vergangenen Saison lernen. Ich sehe keinen Mehrwert, wenn wir, bevor der erste Ball im Training gerollt ist, Ziele, vielleicht sogar hochtrabende Ziele, nach außen geben würden. Das bringt uns keine positive Verstärkung. Wir konzentrieren uns auf den Fußball, den wir angefangen haben. Der wurde schon in den letzten Spielen sichtbarer als in der Vergangenheit. Diesen Fußball wollen wir weiterentwickeln. Das wird wieder sehr intensiv werden. Es wird Rückschläge geben, es wird ein steiniger Weg. Alles wird nicht von alleine laufen. Aber wir wollen diesen Weg konsequent bestreiten. Dann bin ich guter Dinge, dass wir mit dieser Entwicklung auch Ergebnisse bringen werden.

Das Gespräch führte Tobias Gonscherowski