Trainer Markus Gisdol (M.) übernahm das Team am Ende der Vorsaison
Trainer Markus Gisdol (M.) übernahm das Team am Ende der Vorsaison

"Öfter mal über die Hochsprunglatte springen"

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Hoffenheim - Seit drei Jahren hat 1899 Hoffenheim den 11. Tabellenplatz zu Saisonende abonniert, doch damit soll in diesem Jahr Schluss sein. Trainer Markus Babbel möchte mit seinem Team in dieser Saison mehr erreichen.

Im Interview mit bundesliga.de spricht Babbel vor dem Saisonstart über die gesteckten Ziele, die Ambitionen des Clubs und warum sein Training "relativ hart" ist.

bundesliga.de: Herr Babbel, Sie wollen mit 1899 Hoffenheim in dieser Saison einen Europapokalplatz erreichen. Das ist ein recht forsch formuliertes Ziel, oder?

Markus Babbel: Was heißt forsch? Es ist ein lohnenswertes Ziel, dafür zu arbeiten, irgendwann muss man damit ja auch mal anfangen. Wir haben hier Top-Bedingungen, es ist jetzt einfach an der Zeit, auch sportlich nachzulegen. Wir haben uns gut in der Liga etabliert, jetzt geht es darum, eine Kehrtwende hinzubekommen. Es ging zuletzt ja immer ein Stückchen bergab, letztes Jahr war es ganz bedrohlich, auch wenn der 11. Platz relativ sicher wirkt, aber es war sehr eng. Zum Glück haben wir zum richtigen Zeitpunkt noch die Kurve bekommen.

bundesliga.de: Wie wollen Sie die Spieler auf das neue Ziel einschwören?

Babbel: Ich will die Jungs überzeugen, dass sie die Qualität dafür haben. Sportlich haben sie diese, jetzt müssen wir ganz stark an der Mentalität arbeiten. Seit ich im Februar gekommen bin, waren wir nur im Spiel gegen Bayern München chancenlos (1:7; Anmerkung der Redaktion). Wenn ich hochrechne, dann muss ich sagen: Außer gegen die Bayern waren wir gegen alle Gegner mindestens gleichwertig. Wir haben da manche Spiele verloren, weil wir nicht mehr zulegen konnten und am Ende ein Stück weit abgebrochen sind. Das sollte uns in dieser Saison nicht passieren. Jetzt müssen wir es hinbekommen, öfter über die Hochsprunglatte - wie ich es gerne formuliere - zu springen, als untendrunter durch.

bundesliga.de: Es gibt viele Vereine, die in den Europapokal wollen.

Babbel: Das stimmt. Bayern und Borussia Dortmund schweben über allen. Und danach kommen große Vereine wie Gladbach, Schalke oder Stuttgart und Bremen, die auch unter die ersten fünf Mannschaften wollen. Aber ein Club wie Hannover hat es in den letzten Jahren vorgemacht, dass das Ziel zu erreichen ist. Unser Ziel ist, da oben reinzukommen.

bundesliga.de: Wie wollen Sie den angestrebten Mentalitätswandel hinbekommen?

Babbel: Auch durch Training. Wir trainieren relativ viel und relativ hart, damit die Jungs merken: Wir schaffen diese Belastung. Sie sollen sehen, was in ihnen steckt.

bundesliga.de: Das klingt nach Schinderei, oder?

Babbel: Nun ja, das ist natürlich unangenehm, keiner macht die Vorbereitung gerne, das war schon zu meiner Zeit als Spieler so. Damals hatte man noch nicht so viel und auch weniger durchdacht trainiert. Ich will den Jungs einfach aufzeigen: Was soll Sie dann noch überraschen, oder ihnen Angst einjagen, wenn Sie das Programm absolviert haben? Die Jungs sollen nach der Vorbereitung sagen: Ich bin bereit, für große Aufgaben. So will ich eine neue Mentalität wachsen lassen. Dabei weiß ich natürlich, dass dies nicht von heute auf morgen geht. Und neben dem Training soll mit den Typen, die wir dazu geholt haben, dieser Wechsel der Mentalität gelingen. Jeder soll bereit sein, an die Grenze zu gehen. Wir brauchen Mannschaftsspieler, aber auch welche, die den Kopf rausstrecken, wenn es eng wird. Davon hatten wir in der Vergangenheit zu wenige.

bundesliga.de: Torwart Tim Wiese, von Werder Bremen gekommen, soll zum Beispiel so ein Spieler künftig sein. Für ihn musste Publikumsliebling Tom Starke gehen. Muss man als Trainer, wenn man überzeugt ist von einer Sache, manchmal auch Dinge gegen das Publikum durchziehen?

Babbel: Ich habe das ja nicht gegen die Fans gemacht, sondern für den Erfolg. Ich bin überzeugt davon, dass Tim der richtige Mann für uns ist. Als ich hörte, er sei zu haben, habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, ihn zu bekommen. Das war keine populäre Entscheidung, die Fans haben das nicht verstanden, aber ich habe in vielen Gesprächen den Fans meine Beweggründe mitgeteilt. Jetzt liegt es an Tim, sich mit guter Leistung und mit seiner Persönlichkeit den Rückhalt der Fans zu erarbeiten. Das Schöne ist ja: Tim sieht das genauso: Er hat überhaupt keine Angst vor dieser Situation.

bundesliga.de: Man hat den Eindruck, sie haben sich gezielt verstärkt, um den Alteingesessenen Druck zu machen. Stephan Schröck beispielsweise ist auf der Rechtsverteidigerposition Konkurrent von Andreas Beck, der die Kapitänsbinde abgegeben hat.

Babbel: Beim Andi war es ja so, dass er auf dieser Position konkurrenzlos war. Und man hat gesehen, dass ihm das nicht gut getan hat. Er war ja mal kurz davor, Nationalspieler zu werden, aber dann ist es kontinuierlich schlechter geworden. Es war jetzt ein rückläufiger Trend zu erkennen. Ich habe mich lange mit Andi darüber unterhalten.
Vielleicht hat ihn die Kapitänsbinde ja eher belastet als beflügelt.
Mit Stephan Schröck kommt jetzt ein Spieler, der den Konkurrenzkampf nicht scheut, der keine Angst hat vor dem Namen. Ich hoffe, dass bei Andi der Punkt kommt, an dem er merkt, jetzt muss ich Gas geben, um meinen Platz zu behaupten. Auf jeden Fall weiß ich als Trainer: Sollte einer von beiden ausfallen, habe ich einen guten Mann dahinter.

bundesliga.de: Auch in der Innenverteidigung gibt es eine neue Konkurrenzsituation durch die Verpflichtung von Matthieu Delpierre.

Babbel: Ja, das stimmt. Isaac Vorsah war nach dem Africa-Cup in der Rückrunde oft verletzungsbedingt nicht einsatzbereit. Ich hatte dann nur noch zwei Innenverteidiger: Jannik Vestergaard und Marvin Compper - und ehrlich gesagt, ist mir das dann doch zu dünn. Ich kenne Matthieu noch aus Stuttgart, er ist ein Vollprofi, der schon auf höchstem Niveau gespielt hat. Bei ihm können sich die jungen Spieler noch viel abschauen. Hauptkriterium war, er hat mich damals aus der Mannschaft verdrängt in Stuttgart, so einer kann ja nicht so schlecht sein (lacht).

bundesliga.de: Wie soll denn Stürmer Eren Derdiyok, der aus Leverkusen kam, ins Hoffenheimer-Spielsystem eingebunden werden? Er als Stoßstürmer vornedrin hinter variablen Offensivkräften?

Babbel: Eren ist schon als Target-Stürmer geplant. Er bringt alles mit. Was das Können betrifft, ist Eren einer der komplettesten Stürmer, die es in der Bundesliga gibt, ich sehe ihn auf einer Stufe mit Lewandowski und Gomez. Was er lernen muss, ist jetzt, sich so in Form zu bringen, dass er sein Können regelmäßig abruft. Bisher zeigte er es immer nur andeutungsweise, dann tauchte er wieder unter. Er muss jetzt diesen letzten Schritt machen und physisch hundertprozentig fit sein. Er muss sich an mein Training noch gewönnen. Wenn ihm dieser letzte Schritt gelingt, werden wir unheimlich viel Spaß mit ihm haben.

bundesliga.de: Sie sind nach der Ablösung von Ernst Tanner Trainer und Manager in Hoffenheim. Empfinden Sie die zusätzlichen Aufgaben als Belastung, oder gehen Sie in dieser Aufgabe auf?

Babbel: Ich fühle mich wohl dabei, weil es überschaubar ist. Als erstes bin ich natürlich Trainer, wenn es ein Prozent weniger für die Mannschaft werden sollte in meiner Trainertätigkeit, würde ich die Manager-Aufgabe wieder abgeben. Aber ich habe das Glück, dass ich sehr gute Leute um mich herum habe, die mir sehr viel Arbeit abnehmen. Es macht Spaß, als Manager zu arbeiten und es ist natürlich auch ein Vorteil, dass der Manager den Trainer total mag.

Das Gespräch führte Tobias Schächter