Der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Hellmut Krug erklärte mit vielen Beispielen, wann Abseits gepfiffen oder ein Feldverweis ausgesprochen werden muss
Der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Hellmut Krug erklärte mit vielen Beispielen, wann Abseits gepfiffen oder ein Feldverweis ausgesprochen werden muss

"Mit den Ohren sehen"

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Ribery schießt, Podolski kreuzt die Schussbahn, Benaglio ist geschlagen, und Hellmut Krug stellt die schwerste aller Regelfragen: Abseits oder kein Abseits? Zwanzig Hände stimmen für Abseits, zwanzig für kein Abseits.

Für Krug, der in seiner Laufbahn 240 Bundesligaspiele gepfiffen hat und heute als Berater der Deutschen Fußball Liga (DFL) in Fragen des Schiedsrichterwesens tätig ist, kommt das Ergebnis nicht überraschend. Der viermalige Schiedsrichter des Jahres wird in seinem folgenden Vortrag dafür sorgen, dass am Ende des Tages (fast) alle Hände bei der richtigen Lösung nach oben schnellen.

Die 40 Hände gehören zu den Teilnehmern der DFL-Qualitätsoffensive für Live-Audio-Reporter "Mit den Ohren sehen", das die DFL am 24. und 25. Januar in der Sportschule Kaiserau veranstaltet hat. Diese Live-Reporter sitzen an Bundesligaspieltagen zusammen mit blinden und sehbehinderten Fans in den Stadien und berichten, was sich in 90 und mehr Minuten auf dem Rasen und den Rängen abspielt.

DFL lädt Expertenteam ein

Im Alltag arbeiten diese Reporter als Arzt, Jurist, Beamter, Designer oder sie studieren noch. Damit die Reportagen ein möglichst hohes Niveau erreichen, hat die DFL für die zweitägige Schulung ein anerkanntes Expertenteam zusammengestellt. Während Krug den Teilnehmern die hohe Kunst der Regelkunde und -auslegung erfolgreich näherbringt, gibt Radio-Profi Manfred "Manni" Breuckmann wichtige Tipps und Kniffe aus seiner langen Hörfunkzeit weiter.

Seit 1972 ist Breuckmann "on air", mit dem Regionalligaspiel zwischen Neuss und Wattenscheid fing die Karriere des jetzigen "Altersteilzeitlers" an. "Ein Ball ist ein Ball", rät der 57-Jährige von schrägen Wortschöpfungen wie "Spielgerät" oder "Pille" ab, und der Reporter solle "den Ball auch möglichst flach halten". Nicht aus jedem normalen Spiel könne eine Jahrhundert-Reportage gezaubert werden.

Erste Reportage für Blinde vor zehn Jahren

Müssen die Hörer des WDR auf die unverwechselbare Stimme Breuckmanns seit Dezember 2008 verzichten, so dürfen sich die Blinden und Sehbehinderten auf sein Comeback im Stadion freuen. Denn Breuckmann versicherte, bald mal ein Spiel auf der Blinden-Tribüne einer Bundesliga-Arena zu reportieren.

Die erste Reportage für diese Gruppe behinderter Fans liegt schon fast zehn Jahre zurück. Bayer Leverkusen setzte den ersten Live-Reporter am 15. Oktober 1999 beim Heimspiel gegen den SSV Ulm ein. "Das Spiel endete 4:1", erinnert sich Burak Yildirim, der damals die Aufgabe übernommen hatte und heute als studierter Arzt noch immer mit Spaß bei der Sache ist.

Engagierte "Sehhunde"

Dabei ist die Aufgabe sehr anspruchsvoll. Vielleicht anspruchsvoller als eine gewöhnliche Hörfunk-Reportage. Denn die Reportage für Blinde und Sehbehinderte hat eigene Gesetze. "Für uns muss jede akustische Reaktion der Fans praktisch übersetzt werden. Und wir brauchen viele Ortsnennungen auf dem Spielfeld, damit wir immer wissen, wo der Ball ist", sagt Regina Hillmann.

Die stark Sehbehinderte ist die 1. Vorsitzende des "Fanclubs Sehhunde" und nimmt mit drei anderen "Sehhunden" am Seminar teil. Seit 1991 organisieren sich in diesem Fanclub blinde und sehbehinderte Fußballfans aller Vereine von der Bundesliga bis zur Kreisklasse. Die "Sehhunde" haben entscheidenden Anteil daran, dass heute die meisten Klubs der Bundesliga und der 2. Bundesliga Hörfunk-Reportagen anbieten.

Bundesverdienstkreuz für "Sehhunde"

Die Arbeit der "Sehhunde" wurde am 4. Oktober 2006 mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande gekrönt, Bundespräsident Horst Köhler überreichte die Auszeichnung persönlich.

"Weil die blinden und sehbehinderten Fans mit Kopfhörer im Stadion sitzen und nicht zu Hause vor dem Radio, saugen sie die ganze Atmosphäre auf. Sie haben quasi alle Antennen ausgefahren und nehmen jedes Raunen und jeden Aufschrei auf den Tribünen wahr", erklärt Broder-Jürgen Trede, der in Kaiserau die inhaltliche Gestaltung der Schulung übernommen hat.

Hohes Niveau bei den Live-Reportern

Trede, der als Dozent an der Uni Hamburg die ersten systematischen und wissenschaftlichen Analysen der Live-Reportagen für Blinde und Sehbehinderte durchgeführt hat, ist selbst noch für den HSV am Mikrofon. "Als Leverkusen in Hamburg gespielt hat und sich der Ex-HSV-Spieler Sergej Barbarez warm gelaufen hat, da kam großer Jubel aus der HSV-Fankurve. Das muss der Reporter natürlich den Blinden und Sehbehinderten sofort erklären", nennt Trede ein typisches Beispiel, wo die Reporter auf Zack sein müssen.

In Kaiserau lässt Trede einige Ausschnitte früherer Live-Reportagen vor den Teilnehmern abspielen. Wer jetzt überforderte und um Worte ringende Hobby-Reporter erwartet, der wird komplett eines Besseren belehrt. Mit viel Fachwissen und dem nötigen Lokalkolorit sprechen die Stimmen aus Hamburg aus den Lautsprechern, die rasante Reportage der "Greuder" aus Fürth befördert die Hörer praktisch zu Mitspielern auf den Rasen des Playmobil-Stadions.

"DFL wird Qualitätsoffensive regelmäßig fortführen"

"Wir haben bei den Reportern schon jetzt ein sehr hohes Niveau erreicht. Aber verbessern kann sich jeder und jeder will sich auch ständig verbessern", weiß Thomas Schneider, der bei der DFL für die Koordination der Fanangelegenheiten zuständig ist. "Deshalb wird die DFL diese Qualitätsoffensive auch in Zukunft regelmäßig fortführen", ergänzt Schneiders DFL-Kollege Marco Rühmann in der Begrüßungsrede.

So gehört auch die Schulung von Taktik und verschiedener Spielsysteme zum Seminar, diese Aufgabe übernimmt Mario Baric von der deutschen Sporthochschule Köln.

Dank Hellmut Krug wissen die Audio-Reporter schließlich, dass Lukas Podolski bei Franck Riberys Tor zum 1:2 am 9. Spieltag gegen den VfL Wolfsburg im aktiven Abseits stand. Die zwanzig Teilnehmer, die falsch gestimmt haben, müssen sich aber nicht ärgern: Auch Schiedsrichter Dr. Jochen Drees lag in der Hinrunde mit seiner Entscheidung auf Tor daneben.

Stefan Kusche / Foto: Sebastian Stolze