Schalkes Coach Jens Keller (M.) bescheinigt seiner jungen Mannschaft ein "unglaubliches Potenzial"
Schalkes Coach Jens Keller (M.) bescheinigt seiner jungen Mannschaft ein "unglaubliches Potenzial"

Keller: "Wir haben weitere Talente im Köcher"

xwhatsappmailcopy-link

Gelsenkirchen -Trotz großer Verletzungssorgen hat Jens Keller Schalke 04 auf Champions League-Kurs gebracht (Tabelle). Im Interview mit bundesliga.de spricht der Trainer über den Jugendstil auf Schalke, über die Perspektiven seiner jungen Elf und darüber, wie er in kritischen Phasen der Häme einiger Medien begegnet ist.

bundesliga.de: Herr Keller, in knapp anderthalb Jahren haben Sie trotz aller Widrigkeiten eine Mannschaft aufgebaut, die nicht nur erfolgreich ist, sondern mit ihrem Jugendstil auch Fußball-Romantiker glücklich macht. Sind Sie ein wenig stolz?

Jens Keller: Es geht doch hier nicht um mich. Vielmehr bin ich stolz auf meine Mannschaft, darauf wie die Jungs das alles weggesteckt haben. Mir ist wichtig zu betonen, dass die Jungen nicht deshalb spielen, weil andere verletzt sind, sondern weil ihre Leistungen stimmen. Draxler, Meyer oder Kolasinac haben bereits gespielt, als die etwaigen Alternativen noch fit waren. Diese Jungs sind gut. Und deshalb spielen sie.

bundesliga.de: Die Tatsache aber, dass selbst der Erzrivale aus Dortmund Ihre Arbeit lobt, kann nicht völlig an Ihnen abprallen.

Keller: Natürlich freut man sich über Lob, gar keine Frage. Ich habe schließlich lange genug, wenn auch nicht aus Dortmund, viele andere, gegenteilige Dinge gehört. Aber genauso wie ich versucht habe, die negative Kritik nicht so sehr an mich heranzulassen, versuche ich die positiven Äußerungen richtig einzuordnen. Denn ich weiß, wie schnell es im Fußball passieren kann, dass alles wieder ins Gegenteil kippt.

bundesliga.de: Obwohl Sie der Macher dieser Elf sind: Haben Sie dennoch bisweilen gestaunt, wie schnell jetzt ein Rädchen ins andere greift?

Keller: Na klar habe ich mich gewundert. Besonders angesichts der immer neuen Ausfälle, so dass wir Woche für Woche auch eine neue Mannschaft formieren mussten. Da musste ich teilweise Spieler ins Wasser werfen, die länger nicht gespielt hatten. Und dennoch hat es funktioniert. Das ist alles andere als selbstverständlich.

bundesliga.de: Leon Goretzka etwa galt bei einigen "Experten" bereits als durchgefallen, scheint aber mittlerweile angekommen auf Schalke.

Keller: Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass Leon seine enorme Qualität im Training schon immer abgerufen hat. Viele haben aber wohl vergessen, dass der Junge aus der 2. Bundesliga aus Bochum gekommen ist und sich erst einmal akklimatisieren musste. Dazu kommt noch, dass er für sein Abitur lernen musste und den Kopf nie ganz frei hatte. Wenn man jetzt sieht, wie er in den vergangenen Wochen spielentscheidend war und Tore gemacht hat, freut es mich umso mehr, dass er schneller auf Schalke angekommen ist, als wir alle das erwartet haben.

bundesliga.de: Bei wem haben Sie die angesprochene Entwicklung kommen sehen, wer hat Sie überrascht?

Keller: Max Meyer habe ich schon im vergangenen Jahr ins kalte Wasser geworfen, und auch bei Sead Kolasinac war mir klar, dass er konstant spielen kann. Überrascht hat mich aber Kaan Ayhan. Nicht in Bezug auf seine fußballerische Qualität, sondern mit der Souveränität, mit der er vom ersten Moment an aufgetreten ist. Selbst als ihm der Abwehrfehler gegen Berlin unterlaufen ist, hat er sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, sondern hat im Anschluss noch ein sehr gutes Spiel gemacht. Und mit Leroy Sane oder auch Donis Avdijaj, die bisweilen schon bei mir mittrainieren, haben wir weitere Talente im Köcher, die in den nächsten zwei, drei Jahren bestimmt bei den Profis aufschlagen werden. 

bundesliga.de: Vier Spiele vor Saisonschluss haben Sie nicht nur beste Chancen, erneut in die Champions League einzuziehen, sondern sogar die Vize-Meisterschaft ist möglich. Wie ist es Ihnen gelungen, die Mannschaft nach den deprimierenden Niederlagen in München und gegen Real Madrid so schnell aufzurichten?

Keller: Ich habe der Mannschaft immer gesagt, dass Bayern oder Real nicht unser Maßstab sind. Wir haben vor diesen beiden Spielen überragend gearbeitet und gepunktet, und danach auch wieder. Und wenn man gegen die zwei besten Teams Europas oder gar der Welt spielt, kann es einer jungen Mannschaft wie meiner immer mal passieren, dass sie eine hohe Niederlage kassiert. Das habe ich den Jungs immer wieder verdeutlicht.

bundesliga.de: Welches Entwicklungspotenzial sehen Sie bei dieser Mannschaft?

Keller: Voraussetzung ist natürlich zunächst, dass die Mannschaft weitgehend zusammen bleibt. Wenn wir das hinbekommen, hat diese Mannschaft meiner Meinung nach ein unglaubliches Potenzial. Auch weil - wie ich bereits erwähnt habe - weitere Spieler von unten nachrücken werden. In zwei, drei Jahren könnten wir dann sehr, sehr weit sein.

bundesliga.de: Gab es im Laufe dieser Saison, vielleicht in der Winterpause, etwa mit dem Abgang von Jermaine Jones, so etwas wie einen Wendepunkt, von dem an alles besser lief, oder sehen die aktuellen Stand als Resultat eines kontinuierlichen Prozesses?

Keller: Ich glaube, dass es die Summe vieler Kleinigkeiten war, die wir nach und nach verändert haben, beziehungsweise die die Mannschaft umgesetzt hat. All das hat Schritt für Schritt zur aktuellen Situation beigetragen. Zudem hat uns sehr geholfen, dass Klaas-Jan Huntelaar nach seiner Verletzung zurückgekommen ist und von Beginn an seine enorme Qualität abrufen konnte. An Jermaine Jones dagegen würde ich das nicht festmachen wollen, denn auch Jermaine hat für uns sehr gute Spiele gemacht und seine Leistung gebracht.

bundesliga.de: Wie schwer ist es grundsätzlich in einem Umfeld wie dem auf Schalke, das oft zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt schwankt, zu vermitteln, dass eine junge Mannschaft Zeit braucht?

Keller: Das ist nicht leicht. Hätte ich mich von dem leiten lassen, was immer wieder von außen herein getragen wurde, wäre es kaum möglich gewesen, diese junge Mannschaft so weiterzuentwickeln. Ich habe aber immer versucht, die Emotionen weitgehend auszuschalten und so ruhig wie eben möglich weiter zu arbeiten. Entscheidend in dieser Situation war, dass mich der Verein in Ruhe hat arbeiten lassen. Hätten die Entscheidungsträger nicht an unsere Arbeit geglaubt, wäre die Entwicklung der Mannschaft in dieser kurzen Zeit wohl nicht möglich gewesen. Trotzdem möchte ich auch noch einmal betonen, dass wir noch gar nichts erreicht haben. Noch sind zwölf Punkte zu vergeben, und eine so junge Mannschaft wie meine könnte theoretisch auch einmal einbrechen.

bundesliga.de: "Was immer wieder von außen herein getragen wurde." Gab es Momente, in denen Sie, auf gut deutsch, richtig bedient waren?

Keller: Solche Momente hat man schon mal, wenn man so angegangen wird. Keine Frage! Da gab es Situationen, in denen man kurz davor war, die Contenance zu verlieren. Schließlich bin ich auch nur ein Mensch. Trotzdem ist es nie soweit gekommen, dass ich gesagt hätte "Jetzt reicht es, jetzt höre ich auf". Dafür macht mir die Arbeit mit dieser tollen Mannschaft viel zu viel Spaß.

Das Gespräch führte Andreas Kötter