Drei Spiele, dreimal 0:3 - das neue Jahr hätte für den HSV um Milan Badelj (2.v.r.) kaum schlechter beginnen können (© Imago)
Drei Spiele, dreimal 0:3 - das neue Jahr hätte für den HSV um Milan Badelj (2.v.r.) kaum schlechter beginnen können (© Imago)

Der Boxer, der nicht zurück schlägt

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Hamburg - Im Hamburger Miniatur-Wunderland kann man ein Modell der Imtech Arena im Maßstab 1:150 bestaunen. Die ausverkauften Ränge des Stadions in der Touristen-Attraktion sind voll mit per Hand eingeklebten Figuren, dazu laufen Torjubel und Stadion-Atmosphäre vom Band.

Live-Torjubel hat es für die HSV-Anhänger auch gegen Hertha BSC bei der dritten 0:3-Niederlage in Folge in der Rückrunde wieder nicht gegeben. Der Bundesliga-Dino droht in seinem 51. Bundesliga-Jahr den Weg seiner Namensgeber zu gehen - er stirbt aus.

Fünf Gebote gegen den Abstieg

Grund genug für die Macher der Touristen-Attraktion in der Hamburger Speicherstadt, Frederik und Gerrit Braun - beide eingefleischte Fans der Rothosen - eine Kampagne zur Rettung des sechsmaligen Deutschen Meisters ins Leben zu rufen.

Die Brüder veröffentlichten in der Woche vor dem Spiel gegen Berlin im Internet die "Fünf Gebote im Abstiegskampf": 1. Keine Pfiffe, bevor das Spiel zu Ende ist; 2. Keiner verlässt wenn möglich das Stadion vor Spielende; 3. Steht auf für den HSV und bleibt nicht sitzen; 4. Jeder feuert den HSV nach einem Gegentor weiter an; 5. Wir geben alles für unseren HSV, in jedem Spiel, als wenn es unser letztes wäre. Alle zehn Minuten sollten die Fans aufstehen und so dem Club seine Solidarität im Abstiegskampf zu zeigen.

"Nach dem 0:1 waren wir tot"

Die Aktion sammelte 20.000 Facebook-"Likes" - doch war bereits beim dritten Ansatz verpufft. Nach 30 Minuten führten die Herthaner bereits 2:0, und die "Auswärtssieg, Auswärtssieg"-Rufe der zahlreichen Gäste-Fans übertönten das "Steht auf für den HSV" aus der Hamburger Fankurve. Angesichts der Leistungen ihrer Mannschaft auf dem Platz, die zu Schockstarre und Verzweiflung auf den Rängen führte, war niemanden danach, aufzustehen.

In Starre schienen auch die Spieler gefallen zu sein. Hatte man sich in der Woche vor dem "Schicksalsspiel" noch geschworen, alles zu geben, weist die Statistik auf, dass die Hamburger gerade mal 109,9 Kilometer auf dem Spielfeld zurückgelegt hatten. So wenig wie kein anderes Team in den sieben Spielen am Freitag und Samstag.

Als "katastrophal" bezeichnete Heiko Westermann die Leistung der Heimmannschaft und gab zu: "Nach dem 0:1 waren wir tot." Ins gleiche Horn stieß Mitspieler Marcell Jansen. "Das ist wie bei einem Boxkampf. Man muss auch mal zurückschlagen. Aber das passiert nicht", so der Nationalspieler verzweifelt.

"Noch nie so eine beschissene Situation"

Ob er noch Hoffnung auf den Klassenerhalt, sei "nach so einem Spiel schwer zu sagen". Er habe in seiner Karriere "noch nie so eine beschissene Situation erlebt", sagte der 28-Jährige, der zurückdachte an die Spielzeit 2011/12. "Vor zwei Jahren waren wir auch mal auf Rang 17. Aber da hatten wir das Gefühl, wir kommen um den Abstieg rum." Sollte der HSV erneut den Abstieg vermeiden wollen, müssen "wir Gas geben", fordert Jansen.

Ob das reicht? Die Hanseaten können auf über 50 Jahre Bundesliga mit Höhen und Tiefen zurückblicken, und man sollte meinen, in fünf Dekaden hat man alles erlebt. Doch die nackten Zahlen lassen Böses ahnen. Beim Spiel gegen Hertha BSC stellten die Spieler gleich mehrere Negativ-Rekorde auf.

Jarchow stärkt van Marwijk den Rücken

Nie zuvor in über einem halben Jahrhundert hat der HSV sechs Mal in Folge verloren, nie zuvor fünf Mal in Folge drei Gegentore kassiert, nie in 20 Spieltagen 47 Tore kassiert. Und die Berliner beendeten auch eine Rekord-Serie, an der sie selbst beteiligt waren. Gegen keinen anderen Verein hat der HSV in der Liga zehn Heimspiele hintereinander nicht verloren. Zuletzt hatten die Hauptstädter im Januar 2001 im Volkspark gewonnen, Michael Preetz traf doppelt. Am Samstag freute sich der mittlerweile 46-Jährige als Hertha-Manager über den ersten Sieg in Hamburg nach über 13 Jahren.

Der Traditionsverein von der Elbe geht schweren Zeiten entgegen. Weiter wird aber Bert van Marwijk die Verantwortung tragen, wie der Verein am Sonntag bekannt gab: "Der Vorstand hat sich nach Abpfiff zusammengesetzt und die aktuelle Lage analysiert. Wir haben im Vorstand die Entscheidung getroffen, mit Bert van Marwijk weiterzumachen“, sagte der Vorstandsvorsitzende Carl Jarchow.

Wenn man am Samstag beim Abstiegs-Duell nach 29 Jahren und vier Monaten dennoch mal wieder ein Bundesliga-Spiel gegen Eintracht Braunschweig verliert, dann können die HSV-Fans nach 51 Jahren wohl nur noch bei einem Besuch im Miniatur-Wunderland Bundesliga-Atmosphäre erleben.

Aus Hamburg berichtet Jürgen Blöhs