Höhenflug im Frankenland

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München - Verkehrte Welt in der Bundesliga - die "grauen Mäuse" lassen die Topclubs hinter sich. Das Paradebeispiel für diesen unerwarteten Wandel ist der 1. FC Nürnberg, der letzte Saison erst in der Relegation seinen Ligaverbleib sichern konnte. In dieser Spielzeit grüßt der "Club" von oben - Nürnberg ist historisch gut.

Der FCN hat in dieser Saison die beste Ausbeute erreicht, die er seit Einführung der Drei-Punkte-Regel je hatte. Wie wurde aus dem ewigen Abstiegskandidaten ein Verein, der nach einem Saisondritttel sogar in Schlagdistanz zu den Champions-League-Plätzen liegt?

Rasante Entwicklung in Nürnbergs Offensive

Ein Pluspunkt der Nürnberger in dieser Saison ist sicher die Offensive. War das Angriffsspiel 2009/10 noch die Achillesferse der Franken (32 Tore bedeuteten den schwächsten Angriff der Liga), hat der FCN in dieser Spielzeit die Lust am Toreschießen neu entdeckt. Alleine in den letzten fünf Partien traf er mindestens doppelt - das hatten die Franken zuvor 23 Jahre lang nicht geschafft.

Der FCN ist in jedem Spiel von Beginn an hellwach, legt topmotiviert und erstklassig eingestellt los. Kein Team erzielte in der Anfangsviertelstunde mehr Treffer (fünf), außerdem ließ Nürnberg zu Spielbeginn nur einen Gegentreffer zu. Die Handschrift von Dieter Hecking ist klar zu erkennen - auch im Flügelspiel greifen die Maßnahmen desTrainers. Fünf Kopfballtore erzielten die Franken bereits - ebenfalls Rang 3 ligaweit.

Über mannschaftliche Geschlossenheit zur Defensivstärke

Nicht nur vorne läuft es, auch hinten steht der "Club" sicher. Der Zusammenhalt im Team ist der entscheidende Punkt: alles für das Team. "Was bei all diesen Mannschaften ins Auge sticht, ist die mannschaftliche Geschlossenheit. Die vermeintliche Überlegenheit, die andere Teams durch bessere Einzelspieler hätten, machen sie dadurch wett" sagt Bruno Labbadia im Gespräch mit bundesliga.de.

Über mannschaftliche Geschlossenheit kommt Nürnberg zur Defensivstärke. Jeder fightet beim "Club" für den anderen; auch in der Statistik spiegelt sich dies wider: 53 Prozent aller Zweikämpfe gewannen die Franken, nur 40 Schüsse ließen sie zu - in beiden Kategorien Platz 3 ligaweit. Nur vier Teams der Bundesliga kassierten weniger Gegentore als der FCN.

Nürnbergs Verantwortliche bleiben am Boden - wie lang hält der Höhenflug an?

Auch das Spielermaterial ist ein entscheidender Faktor des Nürnberger Aufschwungs. Anstatt wie früher auf mittelmäßige Akteure aus dem Ausland zu setzten, baut der FCN auf klug arrangierte Leihgeschäfte und junge deutsche Talente wie Julian Schieber, Ilkay Gündogan oder Jens Hegeler. Die Kehrseite der Medaille: Leihgeschäfte gehen zu Ende, die Spieler suchen neue Herausforderungen. FCB-Leihgabe Mehmet Ekici könnte hierfür ein Kandiat sein: "Die Bayern werden bei Mehmet in den kommenden Wochen sicherlich ganz genau hinschauen", meint auch Hecking.

Die Verantwortlichen in Nürnberg üben sich im Tiefstapeln, Sportdirektor Martin Bader spricht lediglich von einer "wunderschönen Momentaufnahme". Experten trauen den vermeintlichen "grauen Mäusen" durchaus mehr zu. Andreas Ottl, letzte Saison selbst noch an Nürnberg ausgeliehen, ist sich sicher, dass der FCN "mit dem Abstiegskampf nicht viel zu tun haben wird".

Bruno Labbadia indes tippt darauf, das einem der Überraschungsteams durchaus der "große Wurf" gelingen könnte: "Für eine der 'kleinen' Mannschaften kann es am Ende reichen, wenn die 'Großen' weiterhin schwächeln", sagt Labbadia. Warum sollte es also nicht der FCN sein, bei dem dieser unerwartete Höhenflug anhält?

Christoph Gschoßmann