Lucien Favre durfte am vergangenen Spieltag einen 3:1-Sieg der Borussia gegen den Hamburger SV bejubeln
Lucien Favre durfte am vergangenen Spieltag einen 3:1-Sieg der Borussia gegen den Hamburger SV bejubeln

Lucien Favre: "Ich bin immer ruhig geblieben"

xwhatsappmailcopy-link

Mönchengladbach - Obwohl in der Rückrunde bisher nicht so erfolgreich wie in der ersten Saisonhälfte, hat Borussia Mönchengladbach noch alle Chancen auf den Einzug in den internationalen Fußball. Im Interview mit bundesliga.de spricht Trainer Lucien Favre über die Widrigkeiten, mit denen ein Club wie die Borussia zurecht kommen muss, über den ständigen Druck, den ein Trainer aushalten muss und Strategien, mit diesem Druck umzugehen.

bundesliga.de: Herr Favre, die Saison ist im Endspurt, und Borussia steht dort, wo die Verantwortlichen den Club vor Saisonstart auch verortet haben - auf einem einstelligen Tabellenplatz, mit guten Aussichten auf den internationalen Fußball. Sind Sie nach der sehr guten und vor allem effektiven Hinrunde und Platz drei dennoch ein wenig enttäuscht?

Lucien Favre: Darauf möchte ich so antworten: Schauen Sie sich andere Teams an, die nominell nicht schlechter aufgestellt sind als wir...

bundesliga.de: ...Bremen, Hamburg, Stuttgart?

Favre: Exakt! Und dann schauen Sie, wo diese Teams in der Tabelle stehen! Es bedarf einer sehr genauen Analyse, um die Leistungen einer Profi-Mannschaft adäquat bewerten zu können.

bundesliga.de: Bedeutet das auch, dass Sie die schwierige Phase nach der Winterpause im Gegensatz zu einigen Medien nicht als Krise verstanden haben?

Favre: Eine solche Phase kann es im Verlauf einer Saison immer einmal geben. Ich habe aber gesehen, dass wir in den meisten der Partien, in denen die Ergebnisse nicht stimmten, doch recht konstant waren. Deshalb bin ich immer ruhig geblieben. Gegen die Bayern haben wir 0:2 verloren, aber wir hatten fünf gute Torchancen und sogar zwei Pfostenschüsse. Das Spiel in Hannover (1:3; d. Red.) war dann nicht so gut, so dass wir nach zwei Niederlagen bereits etwas unter Druck waren. Und dieser Druck wurde nach dem 0:1 gegen Leverkusen natürlich nicht kleiner. Wir müssen noch lernen zu akzeptieren, in solchen Spielen auch mit einem Unentschieden zufrieden zu sein. Ein Punkt mehr hier, ein Punkt mehr dort - das wäre gut gewesen. Das gilt zum Beispiel auch für die 1:2-Niederlage gegen Augsburg. Wir hätten dann heute einen Punkt mehr, die Augsburger vor allem aber zwei weniger.

bundesliga.de: Gegen Hoffenheim hat Ihr Team sogar 2:0 geführt...

Favre: ...und wir hatten weitere große Chancen. Dann machen wir zwei Geschenke, und am Ende steht es 2:2. Das ist ärgerlich. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Hoffenheim eine sehr gute Mannschaft ist. Mag sein, dass sie in der Abwehr noch einige Probleme haben. Aber offensiv agiert diese Mannschaft hervorragend.

bundesliga.de: Borussia muss nun zum 1. FC Nürnberg, dem das Wasser bis zum Hals steht (Vorschaufakten).

Favre: Und dennoch - oder gerade deshalb - wird auch diese Partie sehr schwierig! Wir kennen diese Situation. Ich erinnere an das Hinspiel, das wir nach einem 0:1-Rückstand noch 3:1 gewinnen konnten. Damals war während der ersten Halbzeit meine Hoffnung, dass wir "nur" mit einem 0:1 in die Pause gehen können. Mir war klar: kriegen wir auch noch das 0:2, kommen wir nicht mehr zurück. Die Nürnberger waren klar besser, sie sind sehr viel gelaufen, unglaubliche 128 Kilometer (Analyse)! Ich weiß, dass manch einer es nicht mehr hören mag: Trotzdem muss ich immer noch hin und wieder darauf verweisen, dass Borussia 2009 und 2011 gegen den Abstieg gespielt hat. Und nach 2012 mussten wir einen Neuaufbau machen, die Gründe dafür sind bekannt.

bundesliga.de: Sie gelten als Trainer, der Spieler besser macht, und haben die jungen, aber auch ältere Spieler sukzessive weiter entwickelt; haben Sie dennoch das Gefühl, dass der eine oder andere mittlerweile an seine natürlichen Grenzen stößt?

Favre: Sie sind alle willig, sie sind ehrgeizig, und das ist schön. Aber man muss auch erkennen, wenn ein Spieler an einem Punkt angekommen ist, an dem es nicht mehr weitergeht. Das mag verschiedene Gründe haben, aber diese Grenze muss man respektieren. Und das ist auch nicht nur im Fußball so. Diese Grenze gibt es in allen Bereichen des Arbeitslebens.

bundesliga.de: Sie betonen häufig, wie wichtig Vertrauen als Basis zwischen Trainer und Spieler ist; wie bringt man einem Spieler bei, dass er diese Grenze nicht überschreiten wird?

Favre: Ehrlichkeit ist für mich eine der wichtigsten Qualitäten eines Trainers. Du musst den Mut haben, einem Spieler rechtzeitig zu sagen „Ich plane nicht mehr mit Dir, es ist besser, wenn Du gehst“. Selbstverständlich ist das keine angenehme Situation, aber anders geht es nicht! Das ist in jedem Verein und für jeden Trainer gleich.

bundesliga.de: Mit Andre Hahn kommt im Sommer ein junger, entwicklungsfähiger Spieler zur Borussia, gerne hätten Sie schon im Winter aber auch Kevin de Bruyne geholt, der längst beim VfL Wolfsburg spielt; überwiegt der Frust, wenn ein solcher Transfer nicht realisierbar ist, oder löst das bei Ihnen eher eine "Jetzt erst recht"-Haltung aus?

Favre: Es stimmt, dass wir de Bruyne gerne geholt hätten, aber das wäre nur auf Leihbasis möglich gewesen. Und wir wussten von Anfang an, dass diese Chance sehr, sehr niedrig sein würde. Also muss man nach anderen Lösungen suchen und das Beste aus dem Kader machen, den man zur Verfügung hat. Gladbach ist ohne Frage eine sehr gute Adresse. Trotzdem gibt es Spieler, die sich für andere Vereine entscheiden.

bundesliga.de: Fakt ist aber auch, dass Sie aus diesen begrenzten Möglichkeiten das Optimale machen und gute Chancen auf die Europa League haben, während es etwa für Hoffenheim nur zu einem Mittelfeld-Platz reicht und der HSV, Stuttgart oder Nürnberg gegen den Abstieg kämpfen. Dort ist der Druck noch größer, wie der Streit zwischen Gertjan Verbeek und Christian Streich am vergangenen Wochenende gezeigt hat...

Favre: Ich denke, Druck ist Druck. Und die Belastung ist sowieso da, für alle Trainer. Da kannst du machen, was du willst. Trotzdem reagiert jeder Trainer anders.

bundesliga.de: Kann es nicht auch befreiende Wirkung haben, mal Dampf abzulassen?

Favre: Das sehe ich nicht so. Du musst einfach ruhig bleiben an der Linie. Selbstverständlich stehe auch ich zwar hin und wieder an der Seitenlinie, um meiner Mannschaft zu helfen, um ein paar Dinge zu korrigieren, und um den Spielern Vertrauen zu geben. Aber ich pflege dennoch sehr guten Kontakt zu den Schiedsrichtern und zu meinen Kollegen.

bundesliga.de: Wie aber schalten Sie dann ab?

Favre: Mit Spaziergängen in der Natur, oder mit Fahrradfahren. Hin und wieder fahre ich mit meiner Frau nach Belgien, um dort im Kino Filme in französischer Sprache zu sehen. Wenn ich es aber genau überlege, ist das letzte Mal schon eine ganze Weile her.

bundesliga.de: Gibt es Momente, in denen Sie innehalten und denken "Mensch, am Ende geht doch nur um Fußball!"?

Favre: Es stimmt, es ist wichtig, dass man versucht, auch einmal durchzuatmen und an etwas anderes zu denken als an Fußball. Die Frage ist nur wann? Nach dem Samstagsspiel geht am Sonntagmorgen die Arbeit schon weiter. Ich muss das vorangegangene Spiel zunächst analysieren und daraus meine Schlüsse ziehen für die kommende Partie. Dann muss ich die neue Woche vorbereiten und den nächsten Gegner analysieren, seine Stärken und seine Schwächen.

Das Gespräch führte Andreas Kötter