Lucien Favre (l.) gilt als Perfektionist, der auch bei deutlichen Siegen seiner Gladbacher immer wieder Details zur Verbesserung findet
Lucien Favre (l.) gilt als Perfektionist, der auch bei deutlichen Siegen seiner Gladbacher immer wieder Details zur Verbesserung findet

Favre: "Bayern spielt wie einst Barca"

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Mönchengladbach - Lucien Favre gilt als Fußball-Besessener, als einer, der sich akribisch auf jedes Spiel, auf jeden Gegner vorbereitet - und als Liebhaber des Tiki-Taka des FC Barcelona. Im zweiten Teil des Exklusiv-Interviews mit bundesliga.de spricht der Trainer von Borussia Mönchengladbach über die Entwicklung der Katalanen von Cruyff bis in die Gegenwart und verrät, was sich der FC Bayern unter Pep Guardiola vom Barca der vergangenen Jahre abgeschaut hat.

bundesliga.de: Lucien Favre, für Sie ist Fußball nicht nur ein Job, sondern bedeutet auch Leidenschaft. Kaum einer spricht etwa so enthusiastisch, dabei aber auch analytisch über den FC Barcelona wie Sie das in vergangenen Jahren immer getan haben...

Favre: Ich liebe dieses Thema! Johan Cruyff hat in den neunziger Jahren den Grundstein dafür gelegt, was Barca heute ist. Ich habe 15 Tage bei ihm hospitiert, und damals war auch Pep Guardiola ein wichtiger Teil der Elf, die 1992 gegen Sampdoria Genua den Europapokal der Landesmeister gewinnen konnte. Nur zwei Jahre später aber konnte Fabio Capello mit dem AC Mailand dieses Dream Team im Finale der Champions League mit 4:0 deklassieren! Denn Capello hatte die Spielweise von Barca, Cruyffs 3-4-3, analysiert und die richtigen Schlüsse daraus gezogen.

bundesliga.de: Später hat Pep Guardiola als Barca-Trainer das Cruyff-System übernommen, modernisiert und den europäischen Fußball über Jahre dominiert. Hat der FC Bayern diese Stelle mittlerweile eingenommen, oder fehlt den Bayern noch ein wenig die Schönheit, die das Spiel von Barca lange Zeit auszeichnete?

Favre: Das, was die Bayern heute unter Guardiola zeigen, ist das, was Barca lange gespielt hat. Und damit beinahe auch das 3-4-3 von Cruyff! Das kann man heute aber nur dann effektiv spielen, wenn jeder Spieler ständig in Bewegung ist und über die entsprechende Technik verfügt. Schauen Sie nur auf das Passspiel bei den Bayern: Die Pässe werden sehr, sehr scharf gespielt, über 15, 20 Meter. Das geht aber nur, wenn jeder Spieler die Ballannahme perfekt beherrscht. Nur dann kann man so schnell spielen, tak-tak-tak, wie die Bayern das heute machen. Das geht nur mit Top-Spielern.

bundesliga.de: Der FC Bayern scheint aktuell das Maß aller Dinge in Europa; gilt das aber auch für die gesamte Bundesliga, oder sind Premier League und Primera Division noch einen Schritt voraus?

Favre: Dass der FC Bayern dominiert, das steht für mich tatsächlich außer Frage. Ich sehe aber auch Dortmund trotz allem nach wie vor sehr stark. Der BVB musste in dieser Saison über längere Zeit fünf, sechs Stammspieler ersetzen. Das ist unglaublich, und das ist viel zu viel! Wenn wir aber nach England schauen, wo Manchester City und der FC Liverpool dominieren, sehen wir zwei Teams, die offensiv herausragend besetzt sind. Ich sehe aber bei beiden Probleme in der Abwehr für die europäische Spitze. Und in Spanien ist Barca nicht mehr so stark wie unter Guardiola. Vor allem mit Puyol als Abwehrchef und Leader haben sie viel verloren.

bundesliga.de: Nirgendwo ist der Konkurrenzkampf so hart wie in der Bundesliga. Wenn nicht gerade die Bayern antreten, ist der Ausgang jedes Spiels offen...

Favre: In Spanien ist der Kampf um den Titel gerade unglaublich eng, in England ist es oben auch sehr spannend, in Deutschland, Frankreich und Italien ist es schon entschieden. Die Bundesliga ist sehr attraktiv, top organisiert, die Stadien sind immer voll, überall. Fakt ist, dass längst Spieler aus nahezu allen Ligen hierher kommen wollen, auch die Spanier. Denn hier bekommt jeder regelmäßig sein Geld. Nahezu jedes Spiel ist ausverkauft, im Borussia Park haben wir zum Beispiel fast immer über 50.000 Zuschauer. In Frankreich und Italien dagegen ist es bei weitem nicht der Fall, dass die Stadien immer voll sind.

Das Gespräch führte Andreas Kötter