Hakan Calhanoglu und seine Kollegen stehen vor den letzten beiden Saisonspielen auf dem 16. Platz - diesen Relegationsrang können sie aus eigener Kraft halten (© Imago)
Hakan Calhanoglu und seine Kollegen stehen vor den letzten beiden Saisonspielen auf dem 16. Platz - diesen Relegationsrang können sie aus eigener Kraft halten (© Imago)

Abstiegsangst: Ganz Hamburg zittert mit dem HSV

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Hamburg - Unzählige Male sei er in den vergangenen Wochen auf die Lage beim Hamburger SV angesprochen worden, "überall auf der Straße. Es gibt zurzeit kaum ein anderes Thema", verrät Uwe Seeler.

Der legendäre Dino gehört zu Hamburg

Und das gilt nicht nur für das HSV-Idol. Ob in Bus und U-Bahn, am Arbeitsplatz, beim Bäcker, in der Supermarktschlange und sogar in der Sauna ist der drohende Abstieg des Bundesliga-Dinos das Thema. (Alle News zum Abstiegskampf im Ticker)

Selbst beim Public Viewing des Champions-League-Spiels Bayern München gegen Real Madrid in den Sportbars der Hansestadt war der HSV das Thema. Denn nicht nur weil Thomas Müller dazu aufgerufen hatte, dass "am Dienstag alle Bayern-Fans" sein sollten, drückten die Hamburger dem Rekordmeister fest die Daumen, sondern durchaus auch im Interesse ihres Vereins.

"Ich habe gehofft, dass die Bayern weiterkommen. Jetzt werden sie am Samstag Wiedergutmachung wollen - und uns aus dem Stadion schießen", befürchtet ein Gast unwidersprochen (Vorschau-Fakten zu HSV - FCB). Noch frisch in Erinnerung ist die Pleite im DFB-Pokal gegen den Gegner vom kommenden Samstag, als die Bayern im Schongang die Partie dominierten und 5:0 gewannen.

Aber nicht nur Fußball-Interessierte beschäftigt der Niedergang des Traditionsvereins. Irgendwie lässt niemanden in der Hansestadt das Thema kalt. Seit 50 Jahren und 249 Tagen ist das Gründungsmitglied der Liga im Oberhaus dabei. Eine Ära, auf die der Club voller Stolz hinweist. Im Stadion zeigt eine Uhr auf die Sekunde genau die Liga-Zugehörigkeit an.

Der HSV gehört zu Hamburg wie der Hafen, der Michel oder Hagenbecks Tierpark. Die Mehrheit der Hamburger (Durchschnittsalter in der Hansestadt 43,3 Jahre) hat nie etwas anderes kennengelernt als den HSV in der Bundesliga. 1728 Spiele hat der HSV bisher in der Liga absolviert (Historische Statistiken). Und das soll nun zu Ende gehen?

Fans mit individuellen Strategien

Für Hamburger schwer vorstellbar. Angst geht um in der Hansestadt, die Angst vor dem Abstieg. Und da es ein beispielloses Szenario ist, ist die Stimmung an Alster und Elbe nur schwer zu beschreiben. Niemand weiß so recht, wie er damit umgehen soll. Es scheint, als gehe jeder die Situation individuell an, gerade weil es außerhalb seiner Vorstellungskraft liegt.

Da gibt es den Fan, der es sarkastisch sieht ("Es ist doch schön, mal andere Stadien kennenzulernen."), den Pragmatiker ("Irgendwann musste es ja mal passieren."), den Objektiven ("Die Mannschaft ist nicht bundesligareif und hat den Abstieg verdient."). Oder sie betrachten es von der humorvollen Seite, indem sie Aufkleber mit Texten wie "Der Dinosaurier wird immer trauriger" kleben.

Egal, was sie vorgeben, sie alle belügen sich selber. Keiner, der nicht auf Nachfrage zugibt, dass ihm der Abstieg wehtun würde. Selbst Fans des Lokalrivalen FC St. Pauli erwischen sich dabei, wie sie dem "Club von der Müllverbrennungsanlage", wie der HSV genannt wird, die Daumen drücken je näher das Worst-Case-Szenario rückt. Da sich das aber nicht gehört, wird es verpackt in Argumente wie "eine Stadt wie Hamburg ohne Bundesliga, das geht doch nicht". 

Hoffnung gewaltig strapaziert

Selten wird so klar, was mit dem sprichwörtlichen "die Hoffnung stirbt zuletzt" gemeint ist, wie in diesen Wochen in Hamburg, auch wenn "sie immer kleiner wird", wie Seeler zugibt. Kein Wunder, wird die Hoffnung seit Wochen strapaziert. Ob die Reise zum Tabellenletzten nach Braunschweig (2:4), nach Bremen (0:1) oder zu Slomkas Ex-Club Hannover (1:2) - jedes Mal war man sich an der Elbe sicher, dass der HSV mit drei Punkten gegen einen Mit-Konkurrenten im Abstiegskampf zurückkehren werde. So auch zuletzt vor dem 1:3 in Augsburg, "weil es für die doch um nichts mehr geht".

Und auch im heimischen Stadion wurden in wichtigen Spielen Punkte gelassen, die Gold wert gewesen wären - nämlich bei den beiden 1:1-Unentschieden gegen Frankfurt und Freiburg. Es brauchte viel Zeit, bis es ins Bewusstsein der Anhänger eindrang, dass die Mannschaft (HSV-Kader) vielleicht doch nicht "so stark" ist, "dass sie gar nicht absteigen kann", wie immer wieder zu hören war. Zu lange?

Hoffen auf die Konkurrenz

Es scheint so. Um so härter schlägt nun die Realität zu. Denn obwohl der HSV in der besten Situation im Kampf um Relegationsplatz ist und diesen im Gegensatz zu Nürnberg und Braunschweig aus eigener Kraft halten kann, so richtig dran glauben tut niemand. Denn mit Meister FC Bayern und zum Abschluss beim Europa-League-Aspiranten Mainz 05 haben die Hamburger das mit Abstand schwerste Restprogramm vor der Brust.

74 Prozent der User waren bei einer Internet-Umfrage der Hamburger "Morgenpost" der Meinung, dass der HSV keinen Punkt mehr holen wird. Aber beinahe ebenso hoch ist der Prozentsatz der Hamburger, die daran glauben (wollen), dass die Konkurrenz ihre Spiele auch verliert. (Spielen Sie im Tabellenrechner Schicksal!)

Ob die Uhr nach 51 Jahren Bundesliga-Zugehörigkeit abgestellt werden muss oder weiterläuft, wird sich endgültig am 10. Mai in Mainz entscheiden. Und auch erst dann wird alles Hoffen und Beten vorbei sein, und die Hamburger werden ihren wahren Gefühlen freien Lauf lassen.

Aus Hamburg berichtet Jürgen Blöhs 

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