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Alexandra Lüddecke in ihrem zweiten Wohnzimmer, dem Weserstadion. Hier mit Holger Jegminat, dem gehörlosen Behindertenfanbeauftragten des Hamburger SV
Alexandra Lüddecke in ihrem zweiten Wohnzimmer, dem Weserstadion. Hier mit Holger Jegminat, dem gehörlosen Behindertenfanbeauftragten des Hamburger SV

Otto Rehhagel als Chauffeur

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Köln - Es war eine folgenschwere Operation Mitte der siebziger Jahre im Zentralkrankenhaus Links der Weser in Bremen. Glücklicherweise nicht für den Patienten, der den Eingriff unbeschadet überstand. Nein, neben dem OP-Tisch wurde eine schicksalhafte Unterhaltung geführt. Während das Operationsteam mit geübten Handgriffen die Arbeit verrichtete, entwickelte sich zwischen dem Anästhesisten und einem Pfleger ein angeregtes Gespräch. Es war der Startschuss für die Behinderten-Betreuung bei Werder Bremen.

Start der Behindertenbetreuung mit fünf Rollstuhlplätzen

Der Anästhesist war Dr. Franz Böhmert, Präsident des SV Werder Bremen, der OP-Pfleger Wolfgang Ziele, glühender Anhänger des norddeutschen Traditionsclubs. Ziele erzählte Böhmert von seinen Besuchen im Weserstadion mit einem alten Schulfreund, der seit einem Badeunfall im Rollstuhl sitzt. Er berichtete auch von den Schwierigkeiten, die Rollstuhlfahrer damals für ein Werder-Heimspiel überwinden mussten. Es gab keine offizielle Behindertenbetreuung und mit Begriffen wie Barrierefreiheit oder Inklusion konnte in den Siebzigern kaum jemand etwas anfangen.

Ziele lief bei Dr. Böhmert offene Türen ein: "Da müssen wir unbedingt was machen“, sagte der 2004 verstorbene Funktionär dem jungen Werder-Fan seine Unterstützung zu. Und der Präsident hielt Wort. 1975 richtete Werder Bremen zunächst fünf Plätze exklusiv für Rollstuhlfahrer ein. Von Anfang an war Wolfgang Ziele für die Rollstuhlfahrer und später für alle Fans mit Behinderung im Weserstadion zuständig. 35 Jahre lang prägte Ziele die Behindertenbetreuung des SV Werder und sorgte dafür, dass sich wirklich alle Besucher der Werder-Heimspiele willkommen fühlten.

Heute empfängt Zieles Tochter, Alexandra Lüddecke, alle Fans mit Behinderung am Rolli-Eingang des Weserstadions. Wie ihr Vater hat auch Lüddecke für jeden Gast ein freundliches Wort und stets ein offenes Ohr. Die meisten Anhänger kennt sie schon seit vielen Jahren, denn die heutige Krankenschwester begleitete ihren Vater schon während ihrer Kindheit regelmäßig ins Weserstadion. Seit ihrem 18. Geburtstag ist sie auch offiziell Teil des Teams der Bremer Behindertenbetreuung. Zu gerne wäre sie immer noch die Stellvertreterin ihres Vaters, aber Wolfgang Ziele, Pionier der Behindertenbetreuung im Weserstadion, verstarb am Neujahrstag 2010.

Chauffeur Rehhagel, Schwarm Gunnar Sauer

"Wie sich der Verein nach dem Tod meines Vaters verhalten hat, war einfach ganz toll“, erzählt Lüddecke. Marita Hanke, Leiterin Print, interne Kommunikation und Medienorganisation der Bremer, die eng mit Ziele und seiner Tochter zusammenarbeitete, rief Lüddecke an und sprach ihr im Namen des gesamten Vereins ihr Beileid aus. Außerdem betonte Hanke, dass der Club Lüddecke sehr gerne als Nachfolgerin für ihren Vater gewinnen würde. "Als mich Marita gefragt hat, musste ich keinen Moment überlegen“, erinnert sich die vierfache Mutter. "Die Behindertenbetreuung war Papas Lebenswerk. Da war es für mich keine Frage, dass ich seine Arbeit fortsetze.“

Auch, weil sie die Leidenschaft für Werder von ihrem Vater geerbt hat. Lüddecke kann sich nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal ein Bremer Heimspiel verpasst hat. "Das muss irgendwann Anfang der achtziger Jahre gewesen sein“, vermutet sie. Damals besuchte sie häufig das Training der Profis. Die Tochter von Wolfgang Ziele war bekannt. Regelmäßig fuhr Otto Rehhagel die junge Alexandra nach dem Training nach Hause. Und der Bremer Erfolgscoach kannte auch ihren Geburtstag. Als Geschenk überreichte der Rekordtrainer der Bundesliga eine persönliche Geburtstagskarte von Libero Gunnar Sauer, für den Lüddecke damals schwärmte.

Tolle Geste vom "Lutscher"

"Diese familiäre Atmosphäre prägt den Verein bis heute“, schildert die Behindertenfanbetreuerin, die zu vielen Verantwortlichen, Spielern und Ex-Spielern ein sehr gutes Verhältnis pflegt. Vor einigen Jahren lief sie mit ihrer damals achtjährigen Tochter auf der Geschäftsstelle Torsten Frings über den Weg. Der Werder-Star sah das gegipste Bein des kleinen Mädchens, nahm die junge Sabrina auf den Arm und entschwand mit ihr in die Kabine. Als der 79-fache Nationalspieler wieder zurückkam, strahlte Lüddeckes Tochter über das ganze Gesicht: Die komplette Werder-Mannschaft hatte auf ihrem Gips unterschrieben.

Auch beim letzten Bundesliga-Spiel 2013 gegen Bayer Leverkusen empfing Lüddecke alle Menschen mit Behinderung ab 13:30 Uhr an Tor 4 des Weserstadions. Nach Spielschluss konnte sie sich endlich wieder über einen Sieg freuen. Der Weg zum Auto wurde dann etwas beschwerlicher, weil Lüddecke etliche Pakete, Tüten und Päckchen mitnehmen konnte. Weihnachtsgeschenke als Dankeschön von treuen Werder-Fans, die zu schätzen wissen, dass sich die Bremer Behindertenfanbeauftragte seit über drei Jahrzehnten mit viel Herzblut um alle Fans des Nordclubs kümmert. Seit jener OP im Zentralkrankenhaus Links der Weser ist das gute Familientradition.

Florian Reinecke