Schon das nächste Talent an der Strippe? Volker Kersting ist Leiter des Mainzer Nachwuchsleistungszentrums
Schon das nächste Talent an der Strippe? Volker Kersting ist Leiter des Mainzer Nachwuchsleistungszentrums

Der Mainzer Weg

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Mainz - Volker Kersting muss nicht lange überlegen: "Als ich anfing, hatten wir überhaupt keinen Jugendnationalspieler", erinnert der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) von Mainz 05. Das war im Sommer 1990 und ist mehr als 22 Jahre her.

Das alte Bruchwegstadion als NLZ

Damals war Mainz 05 gerade in die 2. Bundesliga aufgestiegen. Heute spielt der Verein aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt seine insgesamt siebte Saison in der ersten Bundesliga und Kersting muss genau nachdenken, bevor er alle Jugendnationalspieler des Vereins zusammenbekommt. "Aktuell", zählt er schließlich auf, "hatten wir von der U15 bis zur U 19 neun Spieler in den Nationalmannschaften im Einsatz. Bei den Lehrgangsteilnehmern kommen wir auf über 20 Spieler von Mainz 05."



Der Verein hat sich mittlerweile zu einer der ersten Adressen im Nachwuchsfußball entwickelt. Bei der letzten Zertifizierung durch die DFL und den DFB erhielt der FSV die höchste Bewertung: drei Sterne. Mit über 70 Prozent erfüllter Kriterien liegt Mainz 05 im oberen Drittel des bundesweiten Rankings der Profiteams, sagt Kersting nicht ohne Stolz. Er hat die Entwicklung von Anfang an mitgemacht. Als er zunächst als Betreuer der U19 begann, trug die ihre Heimspiele noch auf einem Hartplatz aus. Mittlerweile verfügt der Club über zwei Kunstrasenplätze und zwei Rasenplätze für das Training seiner Jugendmannschaften. Seitdem die Profimannschaft ihre Spiele in der neuen Arena austrägt, fungiert das alte Bruchwegstadion als NLZ.

Derzeit werden im alten Stadion die alten Vip-Logen zu Trainerbüros und anderen Funktionsräumen für die Nachwuchsabteilung umgebaut. Kersting sagt, nach und nach wolle der Club die Strukturen weiter professionalisieren und ausbauen: "Aber immer nur nachhaltig und nur dann, wenn Geld dafür vorhanden ist."

Shawn Parker als Positivbeispiel für die Jüngeren



Kersting sitzt in seinem Büro in der alten, großen Vip-Lounge des Bruchwegstadions. An der Wand hängen noch die Trikots der Gegner aus der Anfangszeit in der Bundesliga. 2004 stiegen die Rheinhessen unter dem Trainer Jürgen Klopp erstmals ins Oberhaus auf. Mittlerweile trainiert Thomas Tuchel die Mainzer-Profis im vierten Jahr. Unter ihm gewann Mainz 05 2009 erstmals mit den U-19-Junioren die Deutsche Meisterschaft, ein Meilenstein in der Geschichte des Clubs. Aus dieser Mannschaft schafften unter Tuchel Andre Schürrle und Jan Kirchhoff den Sprung in die erste Mannschaft. Schürrle, der nun in Leverkusen spielt, ist längst fester Bestandteil der A-Nationalmannschaft.

Zuletzt schaffte in Shawn Parker ein weiteres Eigengewächs den Sprung in die Startelf der ersten Mannschaft. Im harten Konkurrenzkampf um die Talente mit den anderen Bundesliga-Vereinen sind solche positiven Beispiele ein wichtiger Faktor. Zumal mit Tuchel ein Profitrainer in Mainz am Werk ist, der aus der Jugendarbeit kommt und diese sehr ernst nimmt. "Thomas kennt hier jeden Nachwuchsspieler mit Vornamen", sagt Kersting. Alle vier Wochen trainiert Tuchel mit den Top-Talenten des Mainzer NLZ und ist so immer über den Entwicklungsstand der jungen Spieler informiert. Auch mit den Trainern von der U23 bis zur U15 steht er in regelmäßigem Kontakt, man trifft sich nicht nur bei den internen Fortbildungen. "Es gibt wohl keinen Profitrainer, der mehr Nachwuchsspiele sieht als Tuchel", glaubt Kersting.

Mainz 05 hat derzeit im Nachwuchsbereich fünf festangestellte Trainer und einen hauptberuflichen Reha- und Athletiktrainer. Dazu kommen 21 nebenberuflich tätige Trainer und elf auf Honorarbasis tätige Scouts, die in einem Umkreis von bis zu 250 Kilometer nach guten Jugendspielern suchen. Und es gibt Kooperationen mit den Vereinen Wormatia Worms, Sportfreunde Eisbachtal, FC Meisenheim, FC Marburg und mit der Talentschmiede Westpfalz. Von den Kooperationen profitieren beide Seiten: Sollte ein Spieler außergewöhnliches Talent beweisen, ist sein Weg zum FSV vorgezeichnet. Die unterklassigen Vereine und Ausbildungsstätten profitieren im Austausch zum Beispiel von Trainerschulungen durch die Mainzer Fußballlehrer.

"Belastung ist entscheidend höher als die bei den Profis"



Mit ihrem Internat gehen die Mainzer einen anderen Weg als die meisten Profi-Vereine. Die momentan 16 Talente des Internats wohnen im Kolpinghaus mitten in der Stadt. "Wir haben Internat und NLZ bewusst getrennt, damit die Jungs auch einmal vom Fußball abschalten können", sagt Kersting. Der Alltag für die Talente ist ohnehin hart genug. Zwei Mal die Woche ziehen sie ihr individuelles Athletiktraining durch, meistens gegen 7.30 Uhr, danach geht es in die Schule, am Abend steht dann das Mannschaftstraining an. Am Wochenende spielen sie in der Junioren-Bundesliga. Es gibt nur einen fußballfreien Tag in der Woche, meistens ist das der Dienstag. "Die Belastung für diese Jugendspieler ist entscheidend höher als die bei den Profis", findet Kersting. Früher durchliefen im Internat Jan Kirchhoff und Stefan Bell das Förder-Programm, das sie in den Profifußball brachte. "Das Leben als Jugendnationalspieler mit Perspektive auf den Profibereich ist eine riesige Entbehrung", sagt Kersting: "Ohne höchste Disziplin ist das Ziel nicht zu erreichen." Das größte Talentkriterium aber sei es, sich gegen Widerstände durchzusetzen, findet Kersting. An diesem Punkt scheitern viele.


Ohnehin ist die Zahl derer, die sich am Ende den Traum vom Profifußball erfüllen, exorbitant geringer als die Zahl derer, die es nicht schaffen. "Wir sind nicht nur stolz auf die, die es ganz nach oben gepackt haben. Hier bekommen alle eine Ausbildung auf höchstem Niveau. Wenn sich später einer durch den Fußball sein Studium finanzieren kann, ist das doch auch hoch zu bewerten", sagt Kersting. Bei Mainz 05 sei man sich der Verantwortung für die anvertrauten Kinder und Jugendlichen bewusst. "Ich will hier keine seelischen Wracks an der Stelle. Wir bieten keine Versprechungen, die wir nicht einhalten können. Entwicklungen sind nicht immer vorauszusehen bei pubertierenden jungen Menschen."

"Es gibt mehr unseriöse als seriöse Berater"



Auch deshalb ist es wichtig für Kersting,den Eltern das Gefühl zu geben, immer mit den Verantwortlichen sprechen zu können, sollten Fragen oder Probleme entstehen. Kersting sagt: "Wir werben mit unserem familiären Umfeld und wir sprechen immer zuerst die Eltern an, wenn wir einen Spieler verpflichten wollen." Dass Spielerberater immer jüngere Talente ansprechen, hält Kersting für eine gefährliche Entwicklung. Gar als "kriminell" bezeichnet er die immer gängigere Praxis, dass Berater Talente direkt über Facebook kontaktieren. "Es gibt mehr unseriöse als seriöse Berater", erklärt Kersting, der nicht nachvollziehen kann, wie ein Berater einen 15-Jährigen, der in einem NLZ ausgebildet wird, sportlich beraten will.

Das große Geld verdienen Jugendspieler in Mainz nicht, es gibt Fahrkostenzuschüsse und geringe Aufwandsentschädigungen. Volker Kersting erklärt: "Wir verstehen uns als Ausbildungsverein. Es muss so sein wie im normalen Leben: Geld verdient wird, wenn man ausgelernt hat."

Aus Mainz berichtet Tobias Schächter


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