Trainer Jens Keller (l.) und der als "Leader" verpflichtete Kevin-Prince Boateng gehen mit gemischten Gefühlen in die Pause
Trainer Jens Keller (l.) und der als "Leader" verpflichtete Kevin-Prince Boateng gehen mit gemischten Gefühlen in die Pause

Angekommen in der Realität

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Gelsenkirchen - Alle Jahre wieder das gleiche Bild: Weihnachten steht vor der Tür - und der FC Schalke 04 findet sich pünktlich zum Fest fernab eigener Ambitionen wieder. Statt in den Kampf an der Bundesliga-Spitze einzugreifen, ist die Mannschaft zum Ende der Hinrunde sogar aus den Top Sechs der Liga gerutscht. Das Überwintern in der Champions League kaschiert wenig; ihm steht das desaströse Aus im DFB-Pokal gegenüber. Eine intensive Analyse, die Horst Heldt angekündigt hat, dürfte vor allem eines zu Tage fördern: eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Kellers Warnungen werden wahr

Vor der Saison hatten sie auf Schalke eine ganz breite Brust demonstriert. Jermaine Jones sprach von der Meisterschaft, Julian Draxler und auch Horst Heldt sahen den Verein schon auf Augenhöhe mit Vize-Meister Borussia Dortmund. Schalke glaubte sich auch dank deutlicher Investitionen wieder angekommen in der Spitzengruppe der Liga. Nur der Trainer hatte sich schon damals betont demütig gegeben.

"Natürlich wollen wir oben mitspielen. Aber wir sind auch nicht mit dem Hammer behauen und wissen um die Qualität der anderen Mannschaften. Wir arbeiten hart und müssen dann sehen, was unter dem Strich dabei heraus kommt", hatte Jens Keller im Interview mit bundesliga.de erklärt.

Sechs Monate später scheinen sich Kellers Warnungen zu bewahrheiten, was dem Coach von Verantwortlichen und Umfeld aber eher zu seinem Nachteil ausgelegt wird. Schon der Start in die Saison schlug fehl, als Schalke aus den ersten drei Spielen nur einen Punkt holen konnte. Jetzt, zum Ende der Hinrunde, hat die bittere Realität endgültig Einzug gehalten rund um die Arena.

Rang 7 in der Bundesliga liegt ebenso weit hinter den eigenen Erwartungen wie die magere Punktausbeute von 28 Zählern. Für Sportvorstand Horst Heldt sind es aber nicht nur die blanken Ergebnisse, die frustrieren: "Wir haben auch viele Siege eingefahren, bei denen die Art und Weise nicht zufriedenstellend war. Da haben wir einen anderen Anspruch."

Leistungsträger mit Leistungsschwankungen

Ansprechenden Auftritten folgten immer wieder blutleere Vorstellungen, in denen es die Knappen auch an Grundtugenden wie Leidenschaft und Kampfgeist missen ließen. Die letzte Partie der Hinrunde in Nürnberg war ein Beispiel für fehlendes Engagement und fragwürdige Mentalität. Der Abstiegskandidat wirkte bissiger und aggressiver, während Schalke viel zu passiv auftrat.

Was der Mannschaft über die gesamte Hinrunde abging, war neben einer spielerischen Linie eine überzeugende Hierarchie im Kader, wobei beide Komponenten miteinander verknüpft sind. Es waren die vermeintlichen Leistungsträger und Führungsspieler, die hinter den Erwartungen zurück blieben.

Julian Draxler etwa war mit großen Vorschusslorbeeren und einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein in die Spielzeit gestartet, dann aber oftmals nur noch Mitläufer statt Spielgestalter. Benedikt Höwedes strahlte nicht genug Souveränität aus, um einer wackeligen Abwehr Stabilität zu geben oder als Kapitän das Team zu führen. Timo Hildebrand, ebenfalls einer der erfahrenen Spieler, musste nach durchwachsenen Leistungen sogar seinen Platz im Tor räumen.

Keller experimentiert viel

Auch der explizit als "Leader" verpflichtete Kevin-Prince Boateng konnte der Mannschaft nur selten seinen Stempel aufdrücken und die erhofften Akzente setzen. Sorgen um das lädierte Knie und wiederholte Ausfälle hemmten seine Leistung. Erwartungen, die sein starkes Debüt beim insgesamt überzeugenden 2:0-Sieg über Bayer Leverkusen hervorgerufen hatte, blieben oft unerfüllt.

Auf der Suche nach einer Spielidee und einer Stammelf probierte Jens Keller verschiedene Varianten aus, ohne aber bis zum Ende der Hinserie eine überzeugende Lösung zu finden. Mal sollte Draxler im Mittelfeld auf der "Zehn" die Fäden ziehen, mal Boateng, dann auch der erst 18-jährige, aber hochtalentierte Max Meyer. Boateng wiederum fand sich auch als Stürmer oder im defensiven Mittelfeld wieder. In der Innenverteidigung konnten weder Joel Matip noch Felipe Santana überzeugen.

Erschwert wurde Kellers Arbeit aber auch massiv durch Verletzungssorgen und teils langfristige Ausfälle, die den Trainer immer wieder zu taktischen Umstellungen zwangen und letztlich auch einen erheblichen Qualitätsverlust bedeuteten. Torjäger Klaas-Jan Huntelaar etwa konnte aufgrund zweier Innenbandrisse in dieser Saison gerade einmal drei Pflichtspiele für Schalke bestreiten - traf dort aber direkt drei Mal.

"Wir gehen auf dem Zahnfleisch"

Mit Dennis Aogo und Marco Höger fallen gleich zwei Spieler mit einem Kreuzbandriss auch in der Rückrunde aus. Dazu fehlten und fehlen Spieler wie Boateng, Höwedes und Draxler über einen längeren Zeitraum. "Wir gehen auf dem Zahnfleisch, das ist nicht zu übersehen. Wir pfeifen personell sozusagen aus dem letzten Loch", musste auch Horst Heldt frustriert feststellen.

Das alleine aber erklärt nicht die insgesamt schwache Vorstellung der Schalker in der Vorrunde. Eher ist es das, was sich Heldt von Rückkehrer Kyriakos Papadopoulos erhofft, der im Dezember nach 13 Monaten Pause sein Comeback feierte. "In erster Linie hat uns sein unbedingter Siegeswille gefehlt und seine enorme Mentalität, das Stadion und die eigenen Spieler mitzureißen."

Hoffnungen ruhen auf der Rückrunde

Mit der Rückkehr des Griechen verbindet sich auf Schalke auch die Hoffnung auf eine erfolgreichere Rückrunde, damit Spiele wie das sang- und klanglose Pokal-Aus gegen Hoffenheim nicht noch einmal vorkommen. Die 1:3-Heimpleite war neben der Derby-Niederlage gegen Borussia Dortmund einer der Tiefpunkte der letzten Monate.

Dem steht zwar das Überwintern in der Champions League gegenüber. Doch auch auf internationaler Ebene bekam Schalke in zwei Gruppenduellen gegen den FC Chelsea klar die Grenzen aufgezeigt und steht zudem im Achtelfinale gegen Real Madrid vor einer vermeintlich unlösbaren Aufgabe.

Das Hauptaugenmerk aber soll und muss eh der Bundesliga gelten. Die erneute Qualifikation für die Champions League als Vorgabe will Horst Heldt jedenfalls für 2014 trotz aller Sorgen auf keinen Fall aufgeben: "Wir rücken von unseren Saisonzielen nicht ab!"

Dietmar Nolte

TOPS

    Schwer auszurechnen: Kein Team hat mehr unterschiedliche Torschützen als Schalke (zwölf).Bis zum Ende hellwach: Schalke traf neun Mal in der Schlussviertelstunde (Ligaspitze).Zum Spielende konzentriert: Kein Team kassierte weniger Gegentore in der Schlussviertelstunde als Schalke (zwei).Erfolgreiche Mittelfeldspieler: Nur für den FC Bayern und Dortmunds schossen die Mittelfeldspieler mehr Tore als für Schalke (20).Gepflegtes Spiel: Nur Bayern und Gladbach haben eine geringere Fehlpassquote als Schalke (22 Prozent).

FLOPS

    Wacklige Defensive: Schalke kassierte 28 Gegentore - mehr als Bayern (acht) und Leverkusen (16) zusammen.Harmlose Offensive: Schalke gab nur 198 Torschüsse ab - nur vier Teams weniger.Für die Champions League reicht es nicht: Schalke stand in dieser Saison nie unter den besten vier Mannschaften.Zu viele Gegentore nach Flanken: Niemand kassierte mehr Gegentore im Anschluss an eine Flanke als Schalke (acht).Ausbaufähig: Kevin-Prince Boateng blieb ohne Torvorlage, Julian Draxler schoss nur ein Tor.