Juri Schlünz (l.) war fester Bestandteil der Rostocker Mannschaft zur Zeit der Wende
Juri Schlünz (l.) war fester Bestandteil der Rostocker Mannschaft zur Zeit der Wende

"Wir galten als der klassische Zweite"

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Demnächst startet bundesliga.de einen großen Historien-Bereich zur Bundesliga. In diesem Zusammenhang werden prominente Zeitzeugen interviewt. Heute: Juri Schlünz - in der letzten DDR-Saison Kapitän der Meistermannschaft von Hansa Rostock.

Mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 änderte sich in der Deutschen Demokratischen Republik nicht nur auf politischer Ebene eine Menge. Auch die Sportwelt der DDR durchlebte einen plötzlichen und heftigen Wandel.

Mit der Auflösung des Deutschen Fußballverbandes der DDR rund ein Jahr nach dem Mauerfall war das Ende der DDR-Oberliga besiegelt. Die Saison 1990/91 war die letzte im Osten Deutschlands. Anschließend sollten die Vereine im nun gesamtdeutschen Profi- und Amateurbereich aufgeteilt werden.

Mit dem Gewinn der Meisterschaft und des Pokals sollte es die erfolgreichste Spielzeit in der Geschichte von Hansa Rostock werden. Dabei ging es den Hanseaten in erster Linie um die Qualifikation für die 2. Bundesliga.

Juri Schlünz war Kapitän dieser Elf. Über 300 Pflichtspiele hat er für die "Kogge" absolviert. Im Interview mit bundesliga.de spricht der heutige Nachwuchstrainer bei Hansa Rostock über seine Erinnerungen an das "Double", die Rolle des Fußballs in der DDR, Spielmanipulationen und persönliche Highlights.

bundesliga.de: Herr Schlünz, was verbinden Sie mit dem Titelgewinn 1990/91?

Juri Schlünz: Die Meisterschaft war eine Überraschung. Vor der Saison wollten wir mindestens Platz 6 erreichen, um uns so einen Platz im bezahlten Fußball zu sichern. Das war ganz klar die Zielsetzung. Im Laufe der Saison hat sich dann gezeigt, dass wir auch den Titel holen können.

bundesliga.de: Rostock galt im Vergleich zu den alteingesessenen Teams als Außenseiter. Worin lagen die Gründe dafür, dass es dennoch geklappt hat?

Schlünz: Ein Vorteil war, dass wir fast die einzige Mannschaft waren, die keine wichtigen Spieler an Bundesliga-Teams aus dem Westen verloren hatte. Ein anderer Grund war Uwe Reinders.

bundesliga.de: …der ja in der Saison als erster westdeutscher Trainer in Rostock angeheuert hatte…

Schlünz: Er hat eine riesige Rolle gespielt, uns immer wieder motiviert und vorangetrieben. Wir waren früh Tabellenführer und haben dann sehr lange kein Spiel verloren. Reinders hat dafür gesorgt, dass wir nicht locker lassen und immer weiter Gas geben.

bundesliga.de: Wurde Hansa von der Konkurrenz unterschätzt?

Schlünz: Wir galten schon als der klassische Zweite. Über uns sagten alle immer: Die spielen gut Fußball, aber gewinnen sowieso nichts.

bundesliga.de: Sie entschieden das Titelrennen bereits drei Spieltage vor Schluss ausgerechnet in der Partie gegen den Zweitplatzierten Dynamo Dresden für sich. Ein Höhepunkt der Saison?

Schlünz: Klar, ich selbst habe zwei Tore geschossen, wir haben gegen den amtierenden Meister mit 3:1 gewonnen. Das war ein absolut geiles Highlight.

bundesliga.de: Nach der Meisterschaft gelang Ihnen auch noch das "Double" mit dem Sieg im Pokalfinale.

Schlünz: Der Pokalwettbewerb war diese Saison eine spannende Sache. Im Halbfinale mussten wir ins Elfmeterschießen, standen dann im Finale. Aber mit Finalteilnahmen hatte man bis dahin in Rostock immer schlechte Erfahrungen gehabt. Ich selbst stand 1986 im Finale, das wir verloren haben.

bundesliga.de: Was war für Sie persönlich der schönste Moment in der Saison? Die zwei Tore gegen Dresden?

Schlünz: Eher ein Tor, das ich gegen BSV Stahl Brandenburg geschossen hatte. Das wurde später auch zum Tor des Monats gewählt.

bundesliga.de: Wie war die gesellschaftliche Stellung des Fußballs in der DDR?

Schlünz: Fußball hat genauso wie im Westen alle interessiert. International war der DDR-Fußball aber immer chancenlos, weswegen man da eher mit den Olympia-Teilnehmern mitfieberte.

bundesliga.de: Gab es Privilegien für die Fußballer?

Schlünz: Die gab es auf jeden Fall. Davon haben wir in Rostock aber eher weniger mitbekommen. Wir waren einfach zu weit weg und nicht so erfolgreich wie die großen Teams aus Berlin oder Dresden.

bundesliga.de: Die Clubs BFC (Berliner Fußballclub) Dynamo und auch Dynamo Dresden galten als von den Schiedsrichtern bevorzugte Clubs. Haben Sie persönlich Manipulationen miterlebt?

Schlünz: Man hat sich schon bei bestimmten Spielen, vor allem gegen Berlin, betrogen gefühlt. Andererseits war das auch die beste Mannschaft und die zeichnet sich oft dadurch aus, auch in der letzten Minute noch einen Elfmeter raus zu holen. Aber es war klar, dass die eine oder andere Sache von oben geregelt wurde.

bundesliga.de: Wie standen die Zuschauer den Manipulationsvorwürfen gegenüber?

Schlünz: Als ich selbst noch Zuschauer war, vor meiner Zeit als Aktiver, habe ich einmal ein Spiel gegen Berlin miterlebt, in dem es nach einigen sehr merkwürdigen Schiedsrichterentscheidungen zu tumultartigen Szenen kam. Die Zuschauer stürmten den Platz. Daraufhin haben sogar wir in Rostock Zäune bekommen.

bundesliga.de: Wie war das Verhältnis zum Westfußball?

Schlünz: Wenn man die Gelegenheit hatte, hat man sich die Spiele immer angesehen. Für viele war es ein Traum, im Westen zu spielen. Für manche ist es nicht nur ein Traum geblieben. Die haben dann irgendwann die Tasche gepackt…

Das Gespräch führte Daniel Dillmann