Andre Breitenreiter ist seit Saisonbeginn Cheftrainer des SC Paderborn
Andre Breitenreiter ist seit Saisonbeginn Cheftrainer des SC Paderborn

Zeit, Geschichte zu schreiben

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München - Was in anderen Jahren einem Aprilscherz gleichkäme, ist 2014 alles andere als Klamauk: Der SC Paderborn ist auf dem besten Wege in die Bundesliga. Nach dem 3:1-Sieg beim FSV Frankfurt bauten die Ostwestfalen nicht nur den Vorsprung auf Relegationsplatz aus, sondern dockten am punktgleichen Tabellenzweiten Greuther Fürth an. Der 1. FC Kaiserslautern hat als erster Verfolger bereits sechs Zähler Rückstand auf den SCP.

Finke: "Wir können Geschichte schreiben"

Ein Blick auf Paderborns Restprogramm verrät, dass die Mannschaft von Trainer Andre Breitenreiter im Endspurt um den direkten Aufstieg sogar Vorteile gegenüber den Fürthern hat. Von den sechs verbliebenen Saisonspielen darf man vier Mal in der heimischen Benteler-Arena antreten - darunter auch gegen den fränkischen Konkurrenten. 

"Noch nie war unsere Chance so groß", sagt Präsident Wilfried Finke. "Wir stehen ganz dicht vor einem historischen Moment und können Bundesliga-Geschichte schreiben." Und auch wenn der Großunternehmer bisweilen zur Übertreibung neigt - es ist nicht von der Hand zu weisen: Paderborns Coup könnte gleichgesetzt werden mit den Sensations-Aufstiegen von Clubs wie Homburg, Wattenscheid oder Unterhaching.    

Etwas leisere Töne als der Vereinschef schlägt indes Andre Breitenreiter an. "Alles, was jetzt kommt, ist Bonus", sagt der Cheftrainer, der das Team vor der Saison übernommen hatte und ihm fortan den Feinschliff gab. Der ungeahnte Höhenflug des Zweitligisten ist untrennbar mit seinem Namen verbunden, er gilt in der Branche schon als eine Art Wundertrainer. Dabei hatte er bis vor seinem Einstieg als Coach beim TSV Havelse vor drei Jahren lediglich die F-Jugend seines Sohnes beim TuS Altwarmbüchen betreut.  

Als Havelse damals anklopfte, war der Abstieg des Regionalligisten eigentlich schon besiegelt. "Ich wollte mal ausprobieren, ob's mir als Trainer gefällt", sagte Breitenreiter im "NDR". Es gefiel - und nebenbei rettete er den TSV souverän, führte ihn in der anschließenden Saison auf Platz 6 und landete schließlich in Paderborn.

Breitenreiter als Vater des Erfolgs

"Andre Breitenreiter hat den 360-Grad-Blick, bekommt alles mit, reagiert auf Kleinigkeiten, wird nie wankelmütig, sondern geht gradlinig seinen Weg", lobt ihn Finke über den grünen Klee. Dabei war der Erfolgslauf des SC Paderborn zunächst nicht absehbar: Nach den ersten zehn Spieltagen hatte man stets eine negative Bilanz und lag Mitte Oktober auf Platz 15 - erst dann begann der Aufschwung. Zum Ende der Hinrunde kletterte man auf Rang 9, vom Aufstieg war die Breitenreiter-Truppe im Dezember aber immer noch weit entfernt.

"...dann sitzt Finke im Auto"

Dank des "Schneckenrennens" um den Aufstieg startete der SCP dann aber zum Großangriff: Von den letzten 13 Partien verlor das Team nur noch eines (0:4 in Karlsruhe am 24. Spieltag), wobei man sich von jener Pleite gut erholte und seitdem zehn Punkte aus vier Spielen sammelte. Weitere Zahlen belegen, dass der vormalige Außenseiter mittlerweile gute Karten im Aufstiegs-Endspurt hat: Der SC ist das beste Rückrundenteam, hat die meisten Treffer insgesamt (52) und die meisten Weitschusstore (13) erzielt sowie die torgefährlichsten Mittelfeldspieler (26) in seinen Reihen.

Dabei ist der SC nicht nur aus dem Spiel heraus stark, auch die Standards funktionieren: Hier sind 19 Tore nach ruhenden Bällen Ligaspitze, wobei sich insbesondere Zauberfuß Alban Meha hervortut. Der Albaner versenkte bereits fünf direkte Freistöße und traf insgesamt sieben Mal per Weitschuss. Verlassen kann sich Breitenreiter auch auf Mahir Saglik, der die Torschützenliste der 2. Bundesliga mit 14 Toren anführt und in den letzten beiden Partien jeweils einen Doppelpack schnürte.

Auch in der Defensive hat sich der SC im Laufe der Saison gefunden und steht mitlerweile stabil. Vor allem Uwe Hünemeier, der vor der Saison aus Cottbus kam, entpuppte sich als absoluter Glücksgriff. Der Abwehrchef verpasste in der laufenden Saison keine Minute und ist mit 65 Prozent gewonnener Zweikämpfe der beste Paderborner in dieser Statistik.

Der größte Trumpf ist allerdings die Ausgeglichenheit des gesamten Kaders. Ausfälle wie derzeit Florian Hartherz (Mittelfußbruch) können gut kompensiert werden. Selbst ein Mahir Saglik oder Daniel Brückner - über Jahre Leistungsträger - blieben zwischenzeitlich auf der Bank. Zudem legte der SCP im Winter nach und holte mit Süleyman Koc und Marvin Bakalorz zwei Talente, wobei der Leihspieler von Eintracht Frankfurt auf Anhieb gesetzt war.

Bei aller Euphorie ist jedoch auch Vorsicht geboten: Vor zwei Jahren kratzten die Ostwestfalen schon einmal an der Tür zur Bundesliga, bevor der Traum am letzten Spieltag mit einer 0:5-Pleite beim FC St. Pauli platzte. Dass es dieses Mal anders läuft, davon ist Finke überzeugt. Der Präsident, der häufig aus Aberglaube die Spiele im Stadion meidet, will im Saisonfinale seinen Platz auf der Tribüne nicht länger leer lassen: "Dann sitzt Finke im Auto Richtung Stadion", kündigt er an. Und die Zeit der Aprilscherze ist dann auch vorbei...  

Johannes Fischer